Beat in Deutschland, die 60er Jahre - Die Ruhrgebeat Szene - BCD 16474 AR
von Hans-Jürgen Klitsch
Teil 4
LIONEL AND THE TIREDS
Als Gevelsberger waren wir weder richtig Sauerland noch Bergisches Land noch Rheinland noch Ruhrgebiet, aber Dortmund lag uns näher als Düsseldorf, und die Ruhr war ja nur einen Katzensprung entfernt. Nun kommt man gelegentlich in die Lage, sich Wünsche erfüllen zu dürfen, und weil diese Jungs zum Teil Freunde von mir waren, so dürfen sie in dieser Anthologie nicht fehlen. Angefangen hatten Rolf Kox, Sologitarre, Gesang, Helmut 'Charlie' Trociewicz [†], Bass, ein 'Bernd', Rhythmusgitarre, und Eberhardt 'Ebbi' Schaarschmidt, Schlagzeug, als The Tireds. Dann wurde Bernd durch Eckehard 'John' Dolinski, Rhythmusgitarre und Gesang, ersetzt, und so spielten sie sich durch Falkenheim und Jugendclubs. Charlie Trociewicz war ein Klassenkamerad von mir und für jeden Blödsinn zu haben. Während ich mir den Unmut der Lehrer zuzog, verstand es Charlie immer wieder, nach diversen subversiven Streichen ungerügt und ungetadelt zu bleiben. Gerade knapp über 20, nahm er sich nach einer kurzen, aber heftigen Drogenkarriere das Leben.
John Dolinski sollte prägend für mein Leben werden, berichtete er doch im Sommer 1967, auf der Schwelmer Kirmes zwei ganz tolle Engländerinnen kennen gelernt zu haben und sie bald in unsere Clique mitbringen zu wollen. Nun, es war nur eine Engländerin nebst ihrer deutschen Freundin, aber just jene Engländerin ist seit Silvester 1967 mit mir verbandelt und seit 25 Jahren meine Frau.
Nachdem die Tireds eine Zeit lang als Quartett gespielt hatten, stieg Lionel Gräser ein und brachte seine Orgel mit. Der Bursche war dunkelhäutig, brachte etwas Farbe ins Bild, und der Bandname wurde zu Lionel And The Tireds erweitert. So avancierten sie zu lokalen Beatgrößen, obwohl sie mit den Shades eine Konkurrenz hatten, die ihnen musikalisch überlegen war. Aber Lionel And The Tireds bekamen die Möglichkeit, bei Hans Weiß eine Single zu machen. Der produzierte sonst Kirmesmusik, Spielmannszüge und Fanfarenscorps, aber für Lionel And The Tireds machte er eine Ausnahme. Sie durften bei den Liveaufnahmen eines Kirmesabends im Saalbau Buschmann die jugendliche Fraktion vertreten, und so sind sie auf der daraus resultierenden EP neben Schunkelgesang und Kirmesansprache mit einer Instrumentalnummer zu hören. Damals erschien mir ihr Erwerb nur wegen einer Lionel-&-The-Tireds-Nummer doch zu kostspielig. Heute bedauere ich diesen Entschluß.
Ihre auf Comet Records erschienene Single gestalteten sie im Prinzip aus zwei Eigenkompositionen; die Rückseite allerdings, von John Dolinski komponiert, basierte auf einem irischen Gedicht. Die A-Seite, von Cox und Scharschmidt geschrieben, war ein auf Jux getrimmter Remake von René Kollos Walzer Bei uns zuhaus - es soll deshalb auch Ärger mit den Erben Kollos gegeben haben.
Der Sohn von Hans Weiß, dem Comet-Label-Besitzer, erinnert sich: "Die Kirmesaufnahme hatte die Band eigentlich bei uns ins Gespräch gebracht. Aufgenommen worden war die Single im Ariola-Studio in Köln. Die Bänder der Platte sind noch vorhanden. Es waren auch Probeaufnahmen bei Dieter Pröttel, Redakteur und Produzent, für den Talentschuppen des SWF Baden-Baden gemacht worden. Es wurde aber dann doch nichts daraus. Thomas Meisel, der Guru von Hansa Records, hatte auch irgendwie Interesse an der Band, aber dann schrumpfte das deutsche Programm bei den Labels immer mehr, und die Sache verlief im Sande."
Ebbi Schaarschmidts Eltern zogen beruflich bedingt nach Braunschweig, was die Tireds vor ein Problem stellte, standen sie doch plötzlich ohne Schlagzeuger da, und in Gevelsberg zeigte sich kein Ersatz. Gustav Weiß engagierte, weil er Größeres mit der Band vorhatte, einen Holländer, der bereits als Profi gearbeitet hatte. Rolf Kox: "Da war dann so eine Diskrepanz zwischen dem, was er drauf hatte, und dem, was wir zu bieten hatten. Das ging einfach nicht." Lionel Gräser wechselte dann, der Soul kam gerade groß in Mode, zu den lokalen Wettbewerbern Pit And The Shades, um dort den Sound fetter zu machen. Die Tireds lösten sich daraufhin auf. Kox stellte die Klampfe in die Ecke. Dolinski klimperte noch ein wenig auf der akustischen Gitarre herum, und Trociewicz kaufte sich 1969 noch einmal einen Baß, um bei Horizon Cee den ausgestiegenen Hans Reichel zu ersetzen. Aber auf deren musikalischem Niveau konnte er nicht mithalten, und so kamen sie über ein paar Proben nicht hinaus.
Diskographische Angaben
1966
Bei uns zu haus/Fairy Boy Comet 3349
GERRY AND HIS COMETS
Da Herr Engelsmann all seine Unterlagen über die Aufnahmen in den 60ern vernichtet hat, ist es mir auch auf diesem Wege nicht gelungen, etwas über diese Band herauszufinden. Es ist ziemlich sicher, daß die Band aus dem Raum Herne, Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel war, und der Name ist einigen Mitstreitern aus der Beatszene auch zu Ohren gekommen - doch detailliert erinnern kann sich keiner.
Diskographische Angaben
1965
Shakin' All Over/Ich bin froh Engelsmann E 131 TS
THE DUKES
Vater Brennscheid hatte in Sundern einen Galvanisierbetrieb. Dort konnte sein Filius und dessen Freunde die Anlage aufbauen und kräftig Lärm machen. In der Fabrikhalle roch es zwar streng nach Zyankali, aber das störte die Buben damals wenig. Außerdem hatte Brennscheid Senior ein Bankkonto von nicht unbeträchtlicher Höhe, und davon machte er Gebrauch, um Sohn Ernst nebst Freunden eine elektronische Anlage mit den dazugehörigen Instrumenten zu finanzieren, was sie in die Lage versetzte, oben erwähnten Lärm zu veranstalten. Nun wäre er ein schlechter Geschäftsmann gewesen, hätte er das Geld als reine Spende erachtet. Wann immer die Schülerband The Dukes einen bezahlten Auftritt hatte, ließ er sich eine Rückzahlungsrate übereignen, damit die Schuld geringer wurde. In diesem Sinne hatte er sein Geld gut investiert, allerdings hatte die musikalische Leidenschaft des Sohns und seiner Freunde schulisch gewisse Nachteile, denn alle hatten zwei Ehrenrunden auf der Penne zu drehen, bevor man ihnen ein Reifezeugnis übereignete. Udo Strasser: "Wir waren ja nie in der Schule. Wir hatten Auftritte in Heidelberg, dann ging es nach Saarbrücken für ein Radiointerview. Immer so fort."
Vater Brennscheid lieh auch den firmeneigenen Opel Blitz als Bandbus aus. Zusammen mit ihren zwei Roadies waren The Dukes zu sechst. Da saßen drei vorne und drei hinten, im Dunkeln. Sie haben sich dann so ein Kindertelephon besorgt, so dass sie mit den vorn sitzenden Leuten Kontakt aufnehmen konnten. "Sind wir bald da?" – "Noch zwei Straßen!" "Und 10 Minuten später: Und ?!" –" Ja, noch zwei Straßen."
Ernst Brennscheid, Sologitarre, Udo Strasser, Gesang, Rhythmusgitarre, Jürgen Körner, Bass, Farfisa-Orgel, und Detlef Schwerter, Schlagzeug, waren allesamt Schüler des Franz-Stock-Gymnasiums in Neheim-Hüsten. 1966 hatten sie ihren Auftritt, den bestritten sie mit Beatles-Songs und drei oder vier Eigenkompositionen. Sie waren eigentlich nur als Pausenfüller gedacht, schlugen aber voll ein. Ein Klassenkamerad bot sich als Manager an. Udo Strasser: "Dieter Keunecke war nicht nur körperlich, sondern auch geistig fit. Er besorgte uns eine Reihe von Auftritten. Er blieb für circa ein Jahr unser Manager." Wenn der Körner orgelte, dann übernahmen Strasser oder Brennscheid den Bass, je nachdem.
1966 bekam Detlef Schwerter eine schwere Rippenfellentzündung, so dass er als Schlagzeuger ausfiel. Udo Strasser: "Ich habe dann Hans-Uwe Klein Schlagzeugunterricht erteilt. Er wurde unser Übergangsschlagzeuger." Bis dann 1967 Reinold Pieper von The Sheiks aus Arnsberg weggelotst wurde. Er konnte nicht nur fein trommeln, sondern auch singen.
Udo Strasser: "Wir haben erfolgreich eine ganze Reihe von Beatfestivals bestritten. Nach Paderborn in die Paderhalle sind wir einfach hingefahren, ohne Anmeldung. Wir haben gewonnen." Am 7. April 1968 allerdings belegten sie beim 'Beatfestival '68' in der Recklinghausener Vestlandhalle den 16. Platz – von 22 Bands. Udo Strasser: "Nach dem Auftritt in der Paderhalle bekamen wir einen Job im Beat-Club Dortmund. Dort wurden wir von einem Herrn angesprochen, dem gehörte eine kleine Plattenfirma. So kam es zu 'The Rider'." Und The Dukes werkeln mit Flöte eine fragile und fast schon psychedelische Nummer zusammen; die Musik ist so eigenartig wie das Cover - konsequenterweise hat sie das Bandphoto auf der Rückseite.
Diese Single kam den Herren von der Plattenfirma Alcora zu Ohren, und so trat ein Herr Ruwedel an sie heran, denn auch Alcora wollte auf dem Beatzug fahren. Produzent wurde Werner Hädrich aus Bad Homburg, und ein Herr Walter aus Giessen war auch beteiligt. So entstanden weitere Singles. Vera Petruschka ist fast ebenso außergewöhnlich wie The Rider, und obwohl man Einflüsse der Hollies hört, gelingt ihnen wieder, etwas völlig Eigenständiges zu schaffen. Da gibt es Verweise auf Marx und Engels, den Teufel und andere seltsame Gestalten, und dem Titel angemessen, wird der Kontext in Russland platziert. Für ihre dritte Single, The Dentist, hat nicht nur Jürgen Körners Zahnarzt sondern wohl auch 'Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band' als Inspiration gedient. Es klingt so modern, als wären sie Teil der englischen Popsyke-Szene. Udo Strasser: "Unsere Songs waren aus dem Leben gegriffen. 'I Need A Band' ist so eine Geschichte. Ich war in Dortmund, zum ersten Mal in der Großstadt gewesen. Und da sah ich diese vielen einsamen Menschen. Das habe ich dann textlich verarbeitet. 'I Need A Band' als Reaktion auf Einsamkeit. Oder 'I'm An Unskilled Worker'. Das bezog sich auf unsere Schulsituation. Es wandte sich gegen die Intellektuellen, die uns ja nichts beibrachten, aber trotzdem erschienen wir uns klug." Dafür wurde die Popsyke-Attitüde perfektioniert. Sie erklären dem staunenden Zuhörer, daß sie hinreichend klug sind, um sich mit Robert Kennedy und Richard Nixon zu messen; daß sie sich als bedeutend genug empfinden, um sich mit Napoleon, Jesus u.a. zu identifizieren. Gleichzeitig stellen sie als ihr Charakteristikum heraus, 'unskilled' zu sein, und betonen ihr Defizit: 'not learned enough at school'.
Zu dieser Zeit waren die Dukes gut befreundet mit den Mustangs (siehe CD 'The Mustangs mit Udo Lindenberg' BCD 16461 AR), mit denen teilten sie sich eine Reihe von Jobs. Udo Strasser hat bei ihnen sogar als Bassist mitgeprobt, aber ist zurück zu The Dukes. Udo Strasser: "Manchmal haben wir auch mit gemischten Besetzungen Auftritte bestritten. The Mustangs waren ja richtig gute Freunde. Der Gerd Geerken stand immer völlig regungslos auf der Bühne. Nur die Finger flogen über die Gitarre."
Nach den vier Singles wollte Alcora die Band an Bellaphon weiterreichen, und die war höchst interessiert, denn die Band bot Außergewöhnliches. In Lizenz sollte eine im Walldorf-Studio mit Hilfe von Tontechniker Wintermeier aufgenommene LP bei der Bellaphon erscheinen: Bellaphon stellte aber die Bedingung, dass die Band bei Erscheinen des Albums als Profimusiker zur Verfügung stehen sollten. Die verantwortlichen Herren bei der Bellaphon hörten sich die Bänder an, befanden sie für tauglich, und schon kam der Anruf. Erster Auftritt: Trier; zweiter Auftritt: Fulda; und so weiter. Nun befanden sich Körner und Brennscheid mitten im Abitur, und da wollten sie nun nicht gerade alles auf eine Karte setzen. Also sagte man: Nein. Der Sologitarrist mußte anschließend zudem zum Militär, so verwarf die Bellaphon die Veröffentlichung der LP.
Udo Strasser: "Als wir im Walldorf-Studio waren, um die LP aufzunehmen, war vor uns Ernst Neger dran. Der stand da im Studio mit dem Weinglas in der Hand und sang 'Geh, Alte, schau mich nicht so deppert an'. Und wir scharrten draußen mit den Hufen. Wir durften dann ausnahmsweise bis 19 Uhr aufnehmen. Die machten extra Überstunden."
Die Band macht nach Brennscheids Ausscheiden zu Dritt weiter, mit deutlich progressiverem Einschlag. Dann begannen Udo Strasser und Jürgen Körner alte englische Gedichte zu vertonen. Bis dann 1971 die Studien angesetzt waren, und die Band sich auflöste.
Diskographische Angaben
1967
The Rider/Play A Fool Andy Records TDO 011
Vera Petruschka/I'll Be True Alcora B 21 022
1968
The Dentist/That's My Life Alcora KKA 13 134 [Cover]/T 41 MR 1
1969
I Need A Band/I'm An Unskilled Worker Alcora B 19025
GISELA AND THE SPIRITS
Horst Naß: "Wir hatten die Jack-The-Ripper-Show von Casey Jones gesehen. Da wollten wir noch einen draufsetzen. Und so kreierten wir die Dracula-Show. Hansel Löber besorgte sich eine Dracula-Maske, die sah an sich schon ganz schrecklich aus. Dann wurde er schwarz eingekleidet, ein schwarzes Cape bekam er umgehängt, und ich borgte meine alten Schwimmflossen aus. Dann wurden die Maske und diverse Utensilien mit Leuchtfarbe bestrichen. Das Outfit haben wir nachts ausprobiert, und dabei ein Pärchen ganz fürchterlich erschreckt. Das arme Mädchen rief immer nur: 'Geht zurück! Geht zurück!' Bei Auftritten wirbelte der Hansel Löber damit alles durcheinander. Der rannte über die Tischreihen, daß die Cola nur so spritzte. Einmal fiel im Club 39 eine Frau in Ohnmacht, die haben sie mir direkt vor die Füße auf die Bühne gelegt. Ich wußte gar nicht, was ich machen sollte. Ihr Freund hat sie dann wiederbelebt. Wir hatten uns auch Leuchtstoffröhren mit fluoreszierendem Licht besorgt. In der Stadthalle Mülheim war damals Beat verboten, zu wenig seriös. Wir hatten aber trotzdem einen Auftritt dort. Da kam während der Dracula-Show einer der Ordner vor die Bühne, drohte mit seinem leuchtenden Zeigefinger und sagte: 'Beat ist verboten!'" Und bei einem der Auftritte gab es eine Riesenschlägerei, die Band im Mittelpunkt, weil Hansel Löber einen angriffslustigen Buben im Publikum mit seinem leuchtenden Seilchen erwischt hatte.
Nach und nach versuchten sie, die Show noch zu würzen. So wurde bei einem Freund, angestellt in einer Schreinerei, die auch Särge herstellte, ein solcher bestellt. Horst Naß: "Wir wußten aber nicht, wohin mit dem Ding. Bei mir zu Hause sollte er geparkt werden, doch meine Eltern drohten mit Rausschmiß. Dann kamen wir auf die Idee, ihn auf Armin Buraus Kombidach festzuzurren." Lief aber auch nicht, wie geplant, so wurde anstelle des Sargs eine Bahre gezimmert. Man hätte besser die Hilfe des Schreinerfreundes erbeten, wie man gleich sehen wird. Hansel Löber wurde auf die Bahre gelegt (eigentlich hätte es ja eine Trage sein müssen), eine Decke darüber drapiert, damit er auf der Bühne mit Geheul darunter hervorkommen konnte. Doch das Treppenhaus erwies sich als eng, und nachdem man den armen Hansel schon einmal halb verloren hatte, ging in der nächsten Biegung die ganze Konstruktion entzwei, und der große Gag zerfiel in seine Einzelteile. Dabei waren Gisela And The Spirits als die Oberhausener Searchers bekannt. Aber so manche härtere Nummer mußte man damals einfach bringen.
Angefangen hatten The Spirits 1963 mit Peter Klein, Gesang, Horst Naß, Sologitarre, Rolf Steinbach, Schlagzeug, Hans-Günter Löber, Bass, und einem Rhythmusgitarristen namens Jürgen, bald ersetzt durch Armin Burau. 1964 wurde der Sänger verabschiedet, und die Gitarristen übernahmen den Gesang. Dann kam Gisela Affeldt (später Gisela Burau, die sich auch im Schlagermetier tummelte) als Sängerin (und Organistin) hinzu.
1965 gab es ein erstes Highlight in der Karriere der Spirits. Nachdem sie mit mäßigem Erfolg, d. h. wenig Publicity, für die Oberhausener Bürgermeisterin Luise Albertz gespielt hatten, dachten sie, daß man eine Ebene höher greifen müsse, um ganz groß raus zu kommen. Horst Naß: "Es erschien auch wirklich ein klitzekleiner Artikel in der Bild-Zeitung." Sie hatten sich kurzerhand in Konrad Adenauers Villa in Rhöndorf vorgestellt, ob sie nicht mal für den Kanzler spielen könnten. Am Donnerstag vorher hatten sie bereits die Örtlichkeiten im Scheinwerferlicht von Löbers VW-Cabrio ausspioniert. Am ersten Weihnachtstag sind sie dann einfach hingefahren, haben der Wache am Tor ihren Wunsch vorgetragen, und die Polizisten waren nicht abgeneigt. Von der Sekretärin erfuhren sie, daß Dr. Adenauer am ersten Feiertag den Gottesdienst besuchen wollte, danach gedachten sie, ihn musikalisch zu überraschen. Doch wegen einer Unpäßlichkeit verzichtete Adenauer auf den Kirchgang – er wollte sich etwas Ruhe gönnen. Nach zwei Stunden Warten gelang es der Band mit Hilfe der Sekretärin doch noch, in den Garten vorgelassen zu werden. Horst Naß: "Die Polizisten dachten, wir wollten so mit der akustischen Gitarre ein Ständchen bringen. Sie waren erstmal geschockt, als sie bemerkten, daß wir da eine ganze Verstärkeranlage reinschleppten."
Konrad Adenauer beobachtete alles aus der Sicherheit seines Pavillons. Als Gisela dann das Ave Maria sang und die Band auch sonst nur Schmusesongs anstimmten, kam der Bundeskanzler mit zwei seiner Töchter heraus, um sich artig für die musikalischen Grüße zu bedanken. Anschließend gab es eine zwanzigminütige Audienz beim 'Alten'. Die Adenauerschen Enkelkinder sollen gerufen haben: "Opa, da kommen die Beatles." (Neue Ruhr Zeitung vom 30. Dezember 1965). Horst Naß: "Anschließend gab es noch ein Schnäpschen in des Kanzlers Pavillon." Es dauerte nicht lang, und der Kanzler starb, aber das geht wohl nicht zu Lasten von Gisela And The Spirits.
Nachdem Steinbach von Friedhelm 'Fred' (auch 'Robby' genannt) Misiejuk (ex-Twangy Guitars, ex-Rolling Beats, prä-Newborn Selection, prä-Prosper, prä-Straight Shooter) abgelöst worden war, machten sich Gisela And The Spirits beim 'Beating Nr. 1' im Oberhausener Stadttheater unsterblich. Friedhelm Misiejuk: "Man ist an uns herangetreten, weil wir eine bekannte Band in Oberhausen waren. Die wollten uns. Da habe ich zum zweiten Mal mein Schlagzeug von der Bühne getreten." Wer Friedhelms liebevolle Beziehung zu seinem Schlagzeug kennt, weiß was das bedeutete.
Drei der vier Verstärker waren von der Firma Blackfield. Horst Naß: "Da haben wir so Leasing-ähnliche Verträge unterschrieben, wir bekamen die Verstärker geliehen, und monatlich hatten Raten zu folgen. Als wir die Verstärker dann zurückgaben, wurden uns Reparaturkosten aufgebrummt. So stand es im Vertrag. Da wurden die Dinger neu aufgemöbelt. Ich glaube, sie gingen dann als Neuware wieder in den Verkauf." Von der Firma Blackfield wurden für einen Sieg beim Oberhausener Beatfestival im Kaiserhof auch Aufnahmen für eine Schallplatte ausgelobt. Gisela und ihre Mannen gewannen, so kam die Firma Blackfield mit einem frisch zusammengeschraubten, mobilen Tonstudio angereist: alles schön in einem Auto untergebracht. Das Tonband war ein ¼-Spur-Gerät aus irgendeinem Sprachlabor, dessen Aufnahmequalität die eines Grundig TK27 noch erheblich unterbot. Die zwei eingespielten Eigenkompositionen klingen dumpf und modrig. Ein wenig später sind Gisela And The Spirits in das Electrola-Studio nach Köln gefahren, aber keiner weiß mehr, wie das zustande kam. Jedenfalls haben sie zwei Dusty-Springfield-Songs zu Band gebracht: Little By Little und The Summer Is Over.
Zwischenzeitlich hatten Gisela's Geister sich einen Manager aus Krefeld zugelegt, damit das Beschaffen der Engagements organisierter voranging. Der installierte Herr besorgte auch tatsächlich zwei Auftritte, doch kam die Gage der Band nicht rüber. Also suchte man ihn, fand ihn in einer Lokalität und ging den Buben um die Kohle an. Er erklärte, daß er sie zu Hause habe, und ob man sie nun holen wolle. Die Band packte den Lümmel, ohne Jacke, ohne Brieftasche, ohne Portemonnaie zwischen zwei Musiker auf die Rückbank des Cabrios. Als sie dann vom Heimweg des unehrlichen Kerls abwichen, wurde er schon unruhig. Zügig fuhr das Auto Richtung holländische Grenze, dann in der Pampa rechts in den Wald, noch mal links und wieder rechts. Dann wurde der Lump ausgeladen, Hansel Löber knotete dramatisch aus dem Abschleppseil eine Schlinge, und der Delinquent wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Horst Naß nahm ihn in den Schwitzkasten, alle traten ihn kräftig in den Allerwertesten, und dann setzten sich die Spirits ins Cabrio und düsten ohne Manager aus dem Wald. Da stand er nun, meilenweit von der nächsten Durchgangsstraße entfernt. Von diesem Manager haben sie nie wieder etwas gehört oder gesehen.
Um Kleidung zu kaufen, fuhr die Band gelegentlich nach Amsterdam, sowohl Hansel Löber als auch Armin Burau hatten ein Auto, letzterer gar, bevor er den Führerschein besaß. Da ist er des öfteren 'schwarz' gefahren – segensreich, daß alles gut ging. Er war ja auch ein guter Autofahrer, sagt man. So wie die Spirits allesamt gute Sänger waren, und vierstimmiger, klar gesetzter Gesang war eine ihrer Stärken. So blieb es unausweichlich, daß Gisela gelegentlich in den Hintergrund treten mußte, damit die Herren ihre Hollies- und Beach-Boys-Stücke bringen konnten. Gisela kaprizierte sich auf Titel wie Puppet On A String, These Boots Are Made For Walking oder Dusty-Springfield-Nummern.
Was Oberhausener Standards anbelangte, waren die Spirits vom Erfolg verwöhnt; so gewannen sie regelmäßig die Beatfestivals im Mülheimer Handelhof, veranstaltet von Kaplan Hogeveen. Auf einem dieser Festivals wurden sie wohl auch von der Ariola entdeckt, die mit ihnen unbedingt Aufnahmen machen wollte. Friedhelm Misiejuk: "Unsere Plattenaufnahme fand im Ariola-Studio in Köln statt. Ich kann mich noch erinnern, wie wir die A3 runtergefahren sind, im alten VW-Käfer, zitternd vor Aufregung. Unsere Version von 'Barbara Ann' ist ja ein wenig anders als die Beach-Boys-Nummer, unsere swingt." Und es blieb ihr einziger Titel, veröffentlicht auf einer Zusammenstellung. Horst Naß: "Ja, wir haben wirklich nur einen einzigen Titel aufgenommen. Einen ganzen Tag lang. Es war noch mehr geplant, aber warum es dann dabei blieb, kann ich nicht mehr sagen."
Mit steigendem Erfolg wurden die Fähigkeiten der Musiker auch in anderen Funktionen gefordert. So landeten Horst Naß und Armin Burau in der Jury beim einem Beatwettstreit im Kaiserhof, Oberhausen-Sterkrade. Naß: "Da spielte die gräßlichste Band, die wir je gehört hatten - mit den gräßlichst gestimmten Gitarren. Die Typen da auf der Bühne konnten nicht einmal die Gitarren stimmen! In meinem Übermut habe ich die dann mit einer Note im Nullbereich bedacht. Daraufhin kam so ein Rocker an unseren Tisch, mit einem Gipsarm. Mit der gesunden Hand zerschlug er eine Bierflasche und wollte uns zeigen, was Sache ist. Armin hat ihn dann ganz cool mit einer Tränengasflasche ausgekontert. Unsere Laune stieg, doch nach einer halben Stunde sahen wir, wie sich hinten links und rechts so Scharen von Rockern reindrängten. Der Gipsarm hatte seine ganze Gang mobilisiert, um die Ehre der Lieblingsband zu verteidigen." Für Burau und Naß hieß es, das Hasenpanier zu ergreifen. "Wir sind dann unter der Bühne durch, hinten durch einen Hühnerstall-ähnlichen Verschlag nach draußen, wo Hansel Löber schon mit laufendem Motor wartete. Die Jury mußte den Rest der Bewertungen ohne uns vornehmen. Armin Burau arbeitete damals in Sterkrade – er ist die nächsten Wochen nur mit hochgeschlagenem Mantelkragen zur Arbeit geschlichen."
Diskographische Angaben
1967
'Beat Parade 1967/1' LP: Hansa 75755 ZT
Barbara Ann
Fortsetzung folgt....