Beat in Deutschland, die 60er Jahre - Die Ruhrgebeat Szene - BCD 16474 AR
von Hans-Jürgen Klitsch
Teil 5
THE STARLETS
Karl-Heinz Burckhardt, Gesang, und Ernst-August Schäfer, Klavier, Farfisa-Orgel, bewohnten dasselbe Mietshaus in Iserlohn. Um eine Band zu gründen, brauchte man aber mehr Personen als nur ein Duo, und so wurde tüchtig nach geeigneten Kandidaten gesucht. Solche wurden mit dem Bassisten Friedhelm Winner und Schlagzeuger Ralf Kübler gefunden, so daß ab 1965 ein Quartett beieinander war, das ohne Sologitarristen auszukommen gedachte. Stattdessen schloß man die Lücke, indem man sich auf vierstimmigen Gesang kaprizierte. Es wurden eine Echolette-Verstärkeranlage und ein Bandbus angeschafft, und schon ging die Reise durch die Region los. Man reiste als The Starlets.
Die Band kam besser an als erwartet, und bald bot sich Horst Burghardt, Teilhaber des Tonstudio Engelsmann in Wanne-Eickel an, mit den Starlets eine Platte zu machen. Die Arbeiter-Wohlfahrt versprach, mit ein paar Mark die entstehenden Kosten zu reduzieren. In Wanne-Eickel ging's in das Aufnahmestudio von Engelsmann, man spielte zwei Nummern ein, die anschließend als Single in kleiner Auflage veröffentlicht wurden.
Es ist zu spät - eine Nummer, an der die gesamte Starlets-Frontline die kompositorischen Fertigkeiten ausprobieren durfte - steht als ein sauberer Blues mit atmosphärischer Orgel wie eine Eins. Echter Klammerblues, mit gesprochenem Break - eine feine Beat-Platte, die alles das zusammenfaßte, was Beat für mich damals ausmachte. Auch ihre zwangsläufig orgelgeleitete Version der Wilson-Pickett-Nummer If You Need Me kommt gut an. Skrupellos setzten die Starlets sich selbst als Komponisten ein – gestört hat es wohl niemanden.
Ende 1966 endete dann die gitarrenlose Zeit der Starlets; Klaus Heikenfeld machte den Sound etwas erdiger. Ende 1967 erhielten die Starlets aufgrund ihrer Reputation als vielseitige Band das Angebot, den Sommer auf Borkum zu verbringen, um als Stammband des Hauses 'Die Hütte' die Urlaubs- und Kurgäste zu unterhalten. Heikenfeld verließ die Gruppe, weil er seine Studien nicht gefährden wollte. Dietmar Sarg, ein ebenso guter Gitarrist, ersetzte ihn.
Diese fünf Jungs reichten ihren Arbeitgebern die Kündigungsschreiben rein und machten sich nach gewonnener Freiheit auf, die Musik nun zum Lebensunterhaltserwerb vorzutragen. 'Die Hütte' war gut besucht, der Sommer ging zufrieden stellend vorbei, doch das Anschluß-Engagement in Davos für die Wintersaison platzte.
Reuig kehrte man nach Iserlohn zurück. Zum Glück hatte die Rezession die Bundesrepublik noch kaum erfaßt, so daß es allen leicht fiel, kurzfristig wieder in bürgerlichen Berufen unterzukommen.
Diskographische Angaben
1965
Es ist zu spät/If You Need Me Life ST-H-1209 (Stereo)
THE JAILBIRDS
Sie kamen aus Gelsenkirchen, waren zumindest zwischen 1964 und 1967 aktiv. Sie hinterließen eine starke Single, zwei sehr punkige Versionen von Rock-'n'-Roll-Klassikern.
Diskographische Angaben
1968
Jailhouse Rock/Jenny Jenny Hansa 18098 AT
'Beat-Parade 1968' LP: Hansa 678 171 ZT
Jailhouse Rock/Jenny Jenny
THE KENTS
Sie waren Henry Engels Band, gegründet im Juni 1965 in Marl. Die Bandmitglieder waren Studenten, Beamte und ein Chemie-Angestellter: Rolf Motzek, Rhythmusgitarre, Gesang, Freddy Möllenbrock, Sologitarre, Gesang, Helmut Musil, Tenorsaxophon, Gesang, Egbert Hausberg, Schlagzeug, Gesang, und natürlich Henry Engel, Bass, Diatonica, Gesang. Nur drei Monate hatten sie geprobt, bevor man das erste Engagement im Haus Lothringen in Bochum antrat.
Bereits im Oktober 1965 wurde umbesetzt: Tenorsaxophon spielte nun Wolfgang Merten, und die Sologitarre übernahm Nesthäkchen Udo Balden. Artur Günthe, Gelsenkirchen, machte das Management der Band, und er vermittelte Engagements in so renommierte Beathäuser wie das Black & White in Bochum oder den Wintergarten in Mülheim. Als sie die Gelegenheit bekamen, eine Platte für Hans Beukenburg aufzunehmen, suchten sie einen selbstkomponierten Protestsong aus: Morgen kann die Welt schon vernichtet sein. Damit setzten sie sich deutlich vom üblichen Beat-Einerlei der Cover-Versionen ab.
Mit der Platte im Rücken ging es gut bergauf – Fan-Clubs entstanden, und das Fernsehen lud sie in die Sendung 'Echo der Zeit' ein. Es führte dazu, daß die Band einen Vertrag mit Cine-TV unterschrieb, der mindestens drei Fernsehauftritte und eine Schallplatte pro Jahr garantierte. Der erste Auftritt aus diesem Vertrag war in der Sendung 'Wir im Scheinwerfer'. Doch die Band stand plötzlich vor der Entscheidung Berufsmusik oder Berufe. Sie entschieden sich für das nahe liegende… Die Band kündigte alle bestehenden Verträge und löste sich 1969 auf.
Diskographische Angaben
1966
Morgen kann die Welt vernichtet sein/Ring On Her Finger Format 009
ANDY NEVISON AND THE RHYTHM MASTERS
Wenn der junge Mann sich für 22 Jahre bei der Britischen Armee verpflichtet, dann denkt er an die schöne Rente, die es nach der Dienstzeit gibt. Wenn er aber nach neun Jahren – Mann-o-Mann! - das Handtuch wirft, bekommt er nichts. Auch wenn er zum Raketenspezialisten ausgebildet wurde.
Nachdem Andy Nevison zuerst in Delmenhorst, dann in Menden bei der Raketeneinheit der British Army stationiert war, bekam der am 23. Januar 1945 in London geborene Nevison seine Entlassungspapiere und setzte sich in den nächsten Flieger nach Hause. Dort stellte er seine Band zusammen, The Rhythm Masters: Michael Eden, Schlagzeug, Alan Rogers, Saxophon, Pete Wilson, Gitarre, und Ronald Biggs (nicht der Posträuber, aber trotzdem) Baß. Andy Nevison: "Ronald war Linkshänder, hatte aber einen Baß für Rechtshänder. Den hat er einfach umgedreht. Da waren die hohen Saiten oben und die tiefen Saiten unten. Trotzdem konnte er sogar Akkorde spielen. Ich hab immer gedacht: 'Mensch, wie makt der dat blos?'" Ronald war auch ein Beatles-Fan, und wenn die Rhythm Masters ein Set ohne Andy spielten, dann brachte er die Beatles-Nummern. Mit Andy war es purer Rhythm & Blues, Reibeisenstimme und Punch.
Weil Andy durch gelegentliche Gastspiele bei den Bands in der Umgegend von Menden (im Sauerland) wußte, daß in Deutschland ein großer Bedarf an Live-Musik herrschte, führte er seine Rhythm Masters schnell auf den Kontinent. Flugs war er bei Siggi Langs Interart in Düsseldorf unter Vertrag, wo auch The Lords, The Germans, The Black Stars verbandelt waren. Nevison: "Da wurde ich schnell zum Springer, weil ich eine dufte Show machte und mich gut auf wechselndes Publikum einstellen konnte. Das war mir aber auf die Dauer zu unwürdig." Wenn irgendwo eine Truppe nicht ankam, dann wurde die schnell weggeschickt und Andy Nevison And His Rhythm Masters an deren Stelle eingesetzt. So in der Rio Bar, Stuttgart, in Garmisch-Partenkirchen oder im Astoria zu Giessen, wo sie Lee Curtis And The All-Stars beerbten. Ja, zu der Zeit machte Andy allen Quatsch mit, so war seine erste Platte (auf einem Indie-Label) der Humba-Humba-Tätärä-Twist. Auf der Rückseite beschwor er: Ich fahre nie nach Rimini. Heute lacht er darüber. Andy Nevison: "Meine zweite Single war eine deutsche Version von Busted. Die hieß Pleite. Eine Zeile darin ging: 'Der Whisky ist teuer und auch voller Feuer' [lacht]. Ich weiß nicht mal mehr, wie die Rückseite hieß."
Unvermeidbarerweise kam der Ariola-Plattenscout, und schon war Andy unter Vertrag. Andy Nevison: "Wir sind nach Gütersloh, um aufzunehmen, und die hatten die gleichen Ideen wie bei später Electrola. Die Ariola-Leute sagten mir, ich könne der zweite Billy Mo werden. Ich habe dann geantwortet: Aber ich bin Andy Nevison." Warum er sich auf das Kinderlied Humpty Dumpty eingelassen hat, weiß Andy auch nicht so genau, doch auf der Rückseite gibt es Somebody, und das ist Andy pur. Live war alles dampfender R&B, da turnte der Andy im Indianerkostüm herum und gab den wilden schwarzen Mann. Der Seelenzug fuhr.
Die Single verkaufte sich nur mäßig, aber plötzlich stand die Electrola auf der Matte. Andy Nevison: "Die wollten, daß ich Schlagersachen mache. Sie waren auf der Suche nach einem schwarzen Rex Gildo. Ich habe denen gesagt, paßt mal auf, so was will ich machen. Dann habe ich mit den Rhythm Masters 'Indiano' gespielt. Sie ließen sich auch erweichen, die Single zu produzieren. Als Ersatz für ihre Schlagerideen habe ich ihnen dann Howard Carpendale geschickt. Er hing mit einer Mädchenband im Liverpool Club in Düsseldorf fest. Denen ging es nicht ganz so gut, und er fragte mich, ob ich nicht irgendwelche Verbindungen für ihn hätte. Da habe ich ihm die Visitenkarte von dem Electrola-Mann gegeben. Ich bin fast aus den Latschen gekippt, als ich Howard Carpendale dann wirklich im Radio hörte."
Indiano lief gut, es war ja auch ein gut tanzbarer Soulrocker. Der Schatz verbarg sich auf der B-Seite: What's Your Name. R&B pur. Beide wurden von Otto Demler produziert, und Paul Kuhn machte den Studio-Manager. Als die zweite Single anstand, kamen die Herren bei der Plattenfirma wieder auf die Idee, mal was Eingängigeres zu machen. Andy Nevison: "Die haben mir dann 'Mister Cannibal' angeboten. Ich habe abgelehnt. Später wurde es ja ein großer Hit. Ich wollte aber unbedingt 'Mail Man Blues'. Das war mein Ding."
Als der Live-Musikzug ins Stottern geriet, sattelte Andy auf DJ um. Er hatte sich schon während der Interart-Zeit im Ruhrgebiet eine Bleibe gesucht, und nach ein paar Plattenjockey-Probeläufen in Dortmund wurde er Haus-DJ im Pferdestall (später Piccadilly), Hagen. Da habe ich ihn erlebt, und er schmiß die Soulscheiben unters Volk, wie die Karnevalisten die Kamelle. Andy Nevison: "Vom Besitzer Erwin Primus habe ich mich prozentual beteiligen lassen. Ich bin dann regelmäßig nach London geflogen, um die neuesten Platten zu kaufen – solche, die es in Deutschland noch nicht gab." Damals waren die Leute noch neugierig und aufnahmebereit, nicht wie heute, wo man nur mit den Top-Hits Geld verdienen kann.
Zwischendurch waren immer wieder Konzerte mit den Rhythm Masters angesagt, auch im Pferdestall, auf dessen kleiner Bühne. Um regelmäßige Einkünfte zu haben, mußten sich seine Bandmitglieder als Barkeeper oder Lagerarbeiter durchschlagen. Das hielten sie bis 1972 durch, dann gingen sie nach England zurück, und es gab rein deutsche Rhythm Masters. Andy hatte derweil Karl-Heinz Gebauer kennengelernt, dem man später in Hamburger Zuhälterkreisen die Kugel geben sollte. Andy Nevison: "Er galt als das schwarze Schaf der Familie, hatte aber von seinem Vater ein leerstehendes Kino in Recklinghausen geerbt, 'Was mache ich damit?' hat er mich gefragt. Und da kam mir die Idee mit einer Video-Diskothek. Das war 1971. Ich habe mir so ein Ur-Teil von einem Videorecorder besorgt, mit so großen Bändern. Dann haben wir ein Dutzend Fernsehapparate aufgestellt. Es lief dann 'Beat-Club' oder auch 'Schweinchen Dick'. Der Laden war gerammelt voll. Sie kamen aus allen Städten, sogar aus Düsseldorf. Und sie haben es nicht geschnallt! 'Sag mal, warum kommt denn die Sendung bei Euch immer so spät?' haben sie gefragt"
Diskographische Angaben
1965
Humpty Dumpty/Somebody Ariola 18 576 AT
1966
Indiano/What's Your Name Columbia C 23 145
White Woman/Mailman Blues Columbia C 23 271
THE CRASH
Diese Band kam aus Hamm, sie bestand zumindest von 1966 bis 1968. Felix Hand, Schlagzeug, Rolf Schade, Rhythmusgitarre, Hans Meyer, Baß, Rudi Welches, Sologitarre, und Wolfgang Hermes, Orgel, hinterließen eine wunderbare EP.
Diskographische Angaben
1967
Hitch Hike To The Moon/Let Me Change It For You//Take A Chance/Funny Familiar Trip Jet Platte 3113
THE JOKES
Als Horst-Dieter Mannel mit seinem Flügelhorn und Detlef Ortmann beim 'Posaunengeneral' Joswig in dessen Posaunenchor eintraten und dort erste musikalische Gehversuche machten, konnten sie logischerweise nicht wissen, daß sie mal bei einer Musik enden würde, die der des Chorleiters diametral gegenüber stand. Karl Heinz Kunkel, späterer Gitarrist, blies ebenso kräftig in die Backen beim Posaunenchor der Altstadt.
Mannel hatte einen Arbeitskollegen, Lutz Köhler, und dieser konfrontierte ihn 1964 mit ungeahnten Klängen: Twist And Shout, gespielt von den Beatles. Lutz Köhler und Horst-Dieter Mannel schrieben sich bald bei der Volkshochschule ein, um die notwendigen Fertigkeiten auf den Saiteninstrumenten, gefunden auf dem Dachboden, zu erlernen, damit man ganz 'in' sei. Aber auch dort waren die musikalischen Genres nicht die, nach denen Mannel und Köhler strebten. Also versuchte man es auf eigene Faust im Keller des Lutherhauses in Recklinghausen. Bald gesellte sich Heinz Schütze mit einer echten elektrischen Gitarre zu ihnen: Detlef Ortmann bediente sich bald eines rudimentären Schlagzeugs, das irgendwie in den Übungsraum geraten war. Lutz Köhler war mittlerweile Eigentümer eines Beatle-Basses, und Mannel hatte 500 Mark in eine Höfner-Gitarre investiert. Die Band hatte mittlerweile auch einen Namen gefunden, The Slake Stars, weil man in der Hosenabteilung bei Peek & Cloppenburg ganz Früh-Lords mäßig gestylte Hosen - stufig geschnitten - verkaufen durfte. Bei P&C hieß das Modell Slake.
Als Klaus-Peter Hess das Trio zum Quartett aufmotzte, war wenigstens für guten Gesang gesorgt, und ein weiterer Gitarrist namens Karl Heinz Kunkel machte aus vier fünf. Mittlerweile hatten die Slake Stars erkannt, daß ihr Name es irgendwie nicht brachte, und so durchforstete man das Deutsch-Englisch-Lexikon der Firma Langenscheidt. Die Scherze, The Jokes, das schien ihnen einmalig zu sein. Wie gesagt, so beschlossen.
Die im Lutherhaus probenden Scherzkekse hatten mittlerweile ein halbes Dutzend Lieder drauf, manche davon auch nur halb, d. h. ohne Gitarrensolo, aber Bernd Jurzyk als Jugendbeauftragter der Kirchengemeinde verdonnerte die fünf zu einem Auftritt im Gemeindehaus. Bald wurden sie auch – mit neuer Bühnenkleidung in schwarz-rot (Hemden kariert, Hosen Innenseite schwarz, Außenseite rot) – auf der Bühne der Vestlandhalle beim Beatfestival 1965 gesehen. Sie kamen nicht unter die ersten 15.
Der Kirchengemeinde blieben sie nicht nur dank des Proberaumes verbunden – 1966 machten The Jokes bereits Beat im Gottesdienst, indem sie klerikale Lieder ganz neu interpretierten. Im Januar 1967 erhielten die Jokes noch einmal Verstärkung. Ulrich Hensellek kam und brachte seine Farfisa-Orgel mit, und da die Jokes noch mit der Straßenbahn zum Auftritt fuhren, hieß es nun 80 Pfund zusätzlich zu stemmen. Ein neues Bühnen-Outfit stiftete Peek & Cloppenburg anläßlich eines Auftritts der Jokes in deren Passage.
Die Jokes konnten sich nun hören lassen, ihr Sänger Kape Hess hatte am 6. Februar 1966 beim Beatfestival der Stadt Recklinghausen in der Vestlandhalle immerhin zusammen mit Percy Böhme von Percy And The Gaolbirds in der Solistenwertung den besten Sänger abgegeben, und die Jokes waren 21. geworden. Mit aufkommendem Soul sattelte Karl Heinz Kunkel auf Saxophon um, die Brüder Franz und Willi Hausmann übernahmen das Management. Sie kündigten die Jokes als 'Spitzenband aus dem Ruhrgebiet' an und ließen sie mit dem 'Go Go Girl Eve aus dem Tiles-Club in London' auftreten. Eve hieß mit richtigem Namen wahrscheinlich Ursel oder Waltraud – schließlich kam sie aus Recklinghausen. Im Sommer 1968 taten Bundeswehr und Ansprüche stellende Ehefrauen in spe ihr Werk – die Jokes plätscherten einfach so aus. Ohne formellen Beschluß, ohne Abschiedsgala.
THE CREW
Wenn man mit Eroc heute über The Crew spricht, dann vibriert der Zauber vergangener Tage in seiner Stimme und man merkt die Faszination, mit der er die Musikwelt in den 60ern erlebte. Den Enthusiasmus, mit dem er und seine Kumpel damals musikalisch zu Werke gingen, spürt man in jeder seiner Äußerungen. Sein erstes Schlagzeug hat er im Musikhaus Pommerin in Hagen erworben, dessen Besitzer damals liebevoll 'Schwein' genannt wurde. Später hatte Lupo den Schlüssel zum Laden, da wurde abends schon mal aufgeschlossen und ein Verstärker als Ersatz geborgt. Erocs erstes Schlagzeug war gebraucht, Vorbesitzer war die Band The Enormous Immigrations gewesen. Es hatte keine Becken, solche gab es erst von Mama und Papa zu Weihnachten.
Angefangen hatte es in Hagen mit einer Schülerband, The Universals, alle von der gleichen Schule. Helmut Fleischer sang, Helmut Schäfer und Lothar Ziegenfeuter spielten die (gleichen) Gitarren und ein gewisser 'Fischer' trommelte. Und 'Achim' Ehrig, der damals noch nicht Eroc genannt wurde, war für den Baß vorgesehen, doch bereits vorher war ihm das Schlagzeug dazwischen gekommen, und so mußte Fischer seinen Platz räumen. Joachim Ehrig: "1964 fing ich an, Schlagzeug zu spielen. Eigentlich wollte ich ja Baß lernen, aber ich hatte in der Backstube von Poggel auf der Boeler Straße zum ersten Mal ein komplett aufgebautes Drumset gesehen und war hin und weg und hatte zu Hause so lange gequengelt, bis die Eltern mir zu Weihnachten ein echtes Schlagzeugbecken von Quelle für 35 Mark schenkten. Damit und aus Putzeimern und Schüsseln stellte ich mir mein erstes Set zusammen. Mit meinem Schulfreund Roland 'Eunie' Biermann (Klarinette) spielte ich dann in jeder freien Minute zusammen, meist Titel von Mr. Acker Bilk und nicht selten im elterlichen Wohnzimmer, bis sich die Nachbarn beschwerten."
Bei den Universals drehte sich schnell das Personalkarussell. Joachim Ehrig: "Inzwischen war Ziegenfeuter gegen Gerd Kühn, einen weiteren Klassenkameraden von uns, ausgetauscht worden, und auch Schäfer selbst trieb sich lieber mit Fleischer auf Féten rum, anstatt regelmäßig zu üben. So probten Gerd Kühn und ich sehr oft allein im 'Turm', bevorzugt Instrumentaltitel der Spotnicks, Ventures oder Shadows."
Bald darauf gesellte sich noch ein Schulfreund aus Kühns und Ehrigs Parallelklasse dazu: Peter Klassen. Er konnte singen, spielte Gitarre und Mundharmonika. Außerdem stand er auf Pretty Things und Them. Joachim Ehrig: "Was für uns ganz neu und ganz wild war." Der 'Turm' war ein 6 x 6 x 6 Meter messender, kalter Betonraum mit einer Eisentür zur Straße im Kirchturm an der Hagener Alexanderstraße, und als eines Tages Hans-Hermann Stein dort vorbeiging und die viel versprechenden Klänge hörte, sprach er vor und die baßlose Zeit hatte ein Ende.
Mehr als Schülerfeten und Partyauftritte waren für die Universals nicht drin gewesen, aber man übte tüchtig, und so entstand ein Repertoire, das sich besonders wegen des mehrstimmigen Gesangs hören lassen konnte: The Beatles, The Bee Gees usw. Der Sommer 1966 kam und mit ihm die Urlaubszeit, und im Schwarzwald hatte Nesthäkchen Joachim Ehrig Muße, sich einen attraktiveren Bandnamen auszudenken. Auf einer Postkarte wurde er Peter Klassen mitgeteilt, und der akzeptierte, was ihm zugesandt worden war: The Crew. Joachim Ehrig: "Unser erster Auftritt als The Crew war in einer Eckkneipe in Hagen-Boele, im Herbst 1966. Die Instrumente haben wir mit dem Fahrrad hingeschafft."
Im Winter hatten sie dann Stephan 'Wildschwein' Danielak aus Hagen-Boelerheide am Wickel, auch er hatte die Klänge aus dem Turm schallen gehört. Als zweiter Rhythmusgitarrist machte er den Weg frei für Peter Klassen, der nun als Frontsänger und Mundharmonikaspieler mehr ins Zentrum rückte. Die Band legte kräftig los, ganz nach dem Pfadfindermotto: Jeden Tag einen Meter nach vorn. Bald wurde es fast professionell – jedes Wochenende standen feste Engagements an. In der Gaststätte Wendel in Altenhagen waren sie mitunter über Wochen für das Wochenende engagiert, 16 Uhr Beginn, Ende 21 Uhr. Da konnte die Anlage aufgebaut stehen bleiben, und in der Woche schaute man zum Üben rein. Die Gage war wirklich nicht zu verachten: 100 Mark pro Nase für ein Wochenende, die man anschließend geschlossen bei 'Schwein' einzahlte, damit die Instrumente abgestottert wurden, und zusätzlich gab es ein Abendessen, zubereitet von der dicken Wirtsgattin Frau Bienek: Spiegeleier mit Bratkartoffeln. Joachim Ehrig: "Wichtig war, daß die Leute tanzten, da mußte auch schon mal 'La Bostella' intoniert werden, damit die aus den Stühlen kamen." Später hauten sie den Leuten 30minütige Versionen von Land Of 1000 Dances zu diesem Zwecke um die Ohren. Da sank der Eroc schon mal rückwärts vom Schlagzeugsitz.
Mittlerweile hatte die Crew sich im Theodor-Heuss-Gymnasium, kurz THG genannt, festgesetzt. Da gab es nicht nur einen Flügel, sondern auch einen Schrank, den der Religionslehrer zwecks Aufbewahrung seiner Utensilien für seine papistischen Zeremonien nutzte. In ihm hingen die Meßgewänder, die sich die Band gelegentlich 'borgte', um sie bei Auftritten oder Photosessions zu gebrauchen. Joachim Ehrig: "Da tappste Peter Klassen schon mal mit vorgehaltenem Kreuz und Meßgewand über die Bühne. Hier steckten die frühen Inspirationen für die Grobschnitt-Stücke 'Solar Music' und 'Am Ölberg.'"
Hausmeister im THG war Willi Jung, von dem Joachim Ehrig sagt, daß es ohne ihn Grobschnitt niemals gegeben hätte. "Wenn wir da sonntags klingelten, weil wir üben wollten, dann schnauzte er uns an: Seid ihr schon wieder da? Das ist jetzt aber endgültig das letzte Mal, daß ich Euch sonntags reinlasse! Aber reingelassen hat er uns doch immer und immer wieder. Er war rauh, aber eine Seele von Mensch, deshalb habe ich ihm auch auf der 'History of Solar Music, Vol. 3' ein Denkmal gesetzt. Ich hatte auf Band mitgeschnitten, wie er uns, weil wir um zehn Uhr aufhören sollten, um viertel vor elf den Saft abdrehte und eine flammende, fluchende Ansprache ans Publikum hielt. Anschließend hat er uns – gutmütig wie er war – den Strom wieder angeschaltet."
Man hatte kaum ein Jahr in der Fünferbesetzung absolviert, als sich ein höflicher junger Mann mit einer Orgel anbot: Jürgen Langenscheidt. Der ersetzte Peter Klassen, der von seinem Schwiegervater unter Druck gesetzt wurde, einen regelmäßigen Verdienst heimzubringen. Langenscheid sang nun die vierte Stimme bei Mony Mony und Lupo konnte jetzt die fünfte Stimme – die hohe – bei From The Underworld übernehmen. Auch Eroc hatte seinen Leadgesangs-Spot: Silence Is Golden.
Diese Besetzung machte dann 1968 den 1. Platz bei einem Essener Beatfestival, und dafür gab es 300 Mark bar auf die Hand. Die kassierte Joachim Ehrig, um sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen. "Ein Riesenbecken, 62 Zentimeter Durchmesser. Es kostete genau 300 Mark."
Zwischenzeitlich hatten sich die Jungs von The Crew einen Roadie zugelegt, Hartmut 'Hatu' Ludwig (dessen Spitzname sich vom Nummernschild seines Autos ableitete – HA-TU 97). Joachim Ehrig: "Der hatte einen DKW-Zweitakter. Ich lernte damals Laborant, und so besorgte ich Äther aus unserem Labor. Den füllten wir in den DKW, der lief dann 140 Kilometer schnell, allerdings mußte man auch alle 140 km die Zündkerzen erneuern." Außerdem kamen The Crew auf den Lichtanlagentrichter. Und wieder tat sich der technisch begabte Eroc hervor. Joachim Ehrig: "Das war ganz abenteuerlich. Unser Hatu besorgte Druckschalter, die montierten wir in ein Schaltpult, und damit konnte man Lampen im Takt bedienen. Wildschwein, als Steueranwärter beim Finanzamt, besorgte von seiner Dienststelle sechs ausgediente Schreibtischlampen, und in die kamen die Gasentladungslampen, die wir vorher in farbige Glühlampentauchbäder gehalten hatten. Die Farben hielten aber nie lange, und alle paar Tage mußten wir sie erneut in das Tauchbad halten. Unser zweiter Roadie 'Albert' Rainer Wennek ließ die Lichter dann mit seinen Fingern bunt flackern."
Als sie 1968 für einen Auftritt im Teppichhaus Schreiber in Hagen engagiert waren, konnten sie die Lichtanlage weiter perfektionieren. Joachim Ehrig: "Die hatten solche Preßglasstrahler auf Bretter geschraubt, ich glaube es waren vier Bretter à sechs Lampen. Das waren über 2000 Watt! Und die schenkten sie uns nach dem Konzert, weil wir sie so intensiv und begeistert genutzt hatten. Die haben sogar noch in den ersten Jahren bei Grobschnitt auf der Bühne gestanden."
Langenscheid war gerade mal ein Jahr bei The Crew, schon strebte er neuen Horizonten entgegen. Im Musikhaus Pomerin entdeckte Eroc kurz darauf einen Zettel im Schaufenster, und der beschied ihm, daß Manfred 'Habakuk' Schönauer, Organist, eine Band suchte. PS: No dilettantes wanted! Den Zettel hatte ich damals geschrieben, und die Grammatik ließ noch etwas zu wünschen übrig. Das meinte auch Habakuks Bruder Peter, als er das bereits vervielfältigte Exemplar sah. Tja, so kehrt auch der Autor dieser Zeilen zurück in eine Zeit, in der man wichtigere Dinge zu tun hatte, als Geld zu verdienen und den Hund auszuführen.
Joachim Ehrig: "Wir fuhren also abends nach Gevelsberg. Obwohl die Städte aneinandergrenzen, ist das ja eine endlose Fahrt durch das ganze Tal. Ich kann mich erinnern, daß ich auf der Fahrt einen großen, grünen Apfel kaute. Als wir dann in der Bahnhofsstraße in Gevelsberg angekommen waren und die Tür aufging, setzte sich der Rest des Apfels, und ich mußte so unglaublich laut rülpsen, daß das ganze Treppenhaus bebte. Dann böllerte von oben eine Stimme: 'Was ist denn da unten los?' Und im Dachgeschoß angekommen, stand dort Habakuk in seinem Kimono. Als wir ihm von uns erzählten, sagte er immer nur: 'Jungs, topp! Jungs, topp! Ich bin dabei...'"
So kam The Crew an einen der wildesten Organisten, den man sich denken konnte. Der ließ Keith Emerson blaß aussehen, und fortan spielten sie Wahnsinnsversionen von Für Elise, Born To Be Wild oder You Keep Me Hangin' On. Gedehnt bis an den Horizont. Joachim Ehrig: "Bis ich hinter dem Schlagzeug zusammenbrach und weggetragen werden mußte! Mit Habakuk wurde es immer wilder."
Habakuk, Sohn eines studierten Orchestermusikers, hatte seit seinem neunten Lebensjahr Klavierunterricht gehabt und bei den Gevelsberger Heroen The Shouts Schlagzeug gespielt, bis er an die Tasten wechselte und The Skillies aus Schwelm zu neuen Höhen führte. Ab Anfang 1969 tobte, rollte, kreischte er bei The Crew. Joachim Ehrig: "Irgendwann sagte er: 'Jungs, ich muß mal für zwei Monate verschwinden.' Wir wußten nicht, was los war. Aber irgendwann tauchte er urplötzlich wieder abends zum Üben bei Wendel auf, steckte seinen Kopf durch die Tür und sagte: Jungs, kommt mal eben helfen! Draußen stand ein Lieferwagen, und darin hatte er eine brandneue Leslie und eine Hammond. Er hatte zwei Monate in der Hasper Hütte geschuftet, um sich das zu kaufen."
Manfred Schönauer: "Daran erinnere ich mich nicht. Bevor ich Profi wurde, habe ich zwei Jahre bei Ibach Pianos in Schwelm gearbeitet, Klaviere stimmen usw. Zu der Zeit und von dem Geld habe ich mir einen Marshall-Turm und eine Hammond L 100 gekauft. Die habe ich dann mit zu Konzerten und später auf Tour genommen. Ich muß damals wirklich Nerven wie Drahtseile gehabt haben, ich hatte ja weder einen VW-Bus noch einen Führerschein oder auch nur die geringste Idee, auf was ich mich mit dem Teil eingelassen hatte. Die Vox-Jaguar-Orgel habe ich in Gevelsberg verkauft, den Marshall-Turm habe ich später in München gegen eine Leslie eingetauscht, aber es war nur eine schlechte Kopie. Die haben es mir wohl angesehen… das war einer meiner größten Reinfälle, der andere war, daß ich die Hammond, bevor ich in die USA ging, nicht in Spanien verkauft habe. Ich war so verliebt in das Teil, daß ich es unbedingt mit in die Staaten nehmen wollte. Ich habe es in Genua auf die 'Michael Angelo' nach New York verladen lassen, meinen noch nicht abgezahlten VW-Bus 'Magic Bus' ließ ich einfach an der Kaimauer stehen. Das war sehr traurig und gleichzeitig sehr cool. In den USA angekommen, merkte ich dann, daß ich die Hammond nicht gebrauchen konnte, wegen der unterschiedlichen Stromstärken. Seit fast 30 Jahren habe ich aber nun meinen größten Traum erfüllt, eine Hammond B3."
Kaum war Peter Klassen erneut Mitglied der Band, kamen diese auf den Dreh mit dem Bühnennebel. Eroc besorgte Ammoniumchloridpulver aus dem Labor, das wurde auf eine erhitzte Kochplatte hinter der Bühne gestreut, und schon verbreitete sich dichtester Nebel um die Band. Joachim Ehrig: "Nicht gerade gesund, das ganze. Wir haben kräftig rumgeräuchert, und die Nebelschwaden haben uns in einigen Läden Auftrittsverbot verschafft." Im Oktober 1969 gingen Hans-Hermann Stein und Habakuk, um Montezuma zu gründen. Das war eine wilde Truppe, in der später die Schwelmer Klaus Peter 'Knox' Thiel (Bass) und Hans-Georg 'Scholle' Jacobi (ex-Aeronauts, ex-Kentuckys, Schlagzeug) spielten. Manfred Schönauer: "Ich wollte ja unbedingt Profi werden, die anderen aber nicht, und so machte ich für mich etwas eigenes klar. Unser letzter Auftritt war im Eppenhauser Brunnen, wir und unsere Fans hatten alle Acid geworfen." Ich erinnere mich, daß Habakuk mit einem Motorrad-Sturzhelm aus den späten fünfziger Jahren hinter seiner Orgel stand und diverse Male seinen Kopf in die Tastatur knallte, wie Jerry Lee Lewis seine Hacken. Um umsonst reinzukommen, hatten wir alle die Anlage geschleppt. Da waren dann 12 Roadies am Werk.
Manfred Schönauer: "Ich konnte nicht aufhören zu spielen an dem Abend, aber Scholle verließ irgendwann die Bühne. Ob Knox bis zum Ende auf der Bühne blieb, weiß ich nicht mehr, aber nach dem Konzert ist er zuerst mit mir nach Hause gefahren, um meine Klamotten einzuladen, dann die ganze Nacht durch zum Maxim in Stuttgart, wo ich in diese sehr fremde Welt der Berufsmusiker eintrat. Während der ersten Zeit kam ich noch öfter mal nach Hause. Ich wechselte die Bands wie meine Unterwäsche. Mein Motto war, in die Bands einzutreten, die am weitesten reisten, nicht die, bei denen ich am besten verdiente, obwohl ich ja noch die Hammond und den Magic Bus abzahlte." Nach fast zwei Jahren entschloß sich Habakuk, in die USA zu gehen, um dort weiter zu machen – er ist bis heute geblieben.
Der Ersatz für Stein und Schönauer bei The Crew wurde der Bassist Edgar 'Edd' Hüber von The United Four. Nach einer kurzen Episode als Crew Blues Session zerfiel die Band. Lupo gründete Charing Cross, Eroc die wüste Freejazzgruppe Wutpickel, bis sich die Heroen Eroc, Lupo und Wildschwein 1970 zur Gründung von Grobschnitt wieder zusammenfanden. Der Rest ist Legende.
Fortsetzung folgt....