20 Oldie-Markt 1/19
Lefty
In den 50er Jahren war Lefty Frizzell ei-ne Legende der Countrymusik. Daran er-innert Bear Family mit einer 20 CD-Box.
Die 50er Jahre sind nicht nur gesellschaftlich und politisch eine ganz andere Ära als die, in der wir jetzt leben, sondern vor allem auch musikalisch. Wer in den 50er Jahren Erfolg hatte, klang in der Regel nicht nur ganz an-ders als jede Musik, die man heute hören kann, sondern verdiente auch deutlich weni-ger Geld damit, weil die Musikindustrie noch in den Kinderschuhen steckte. Erst die Beat-les machten aus einem Gewerbe, in dem man vor allem durch Konzerte sein Geld ver-diente, eine Multi-Millionen-Pfund- oder Dollar-Industrie, die eigentlich erst aus ei-nem Teil der Unterhaltungsindustrie insge-samt eine eigene Branche machten. Plötzlich konnte es sich ein Musiker leisten, überhaupt keine Konzerte mehr zu geben, sondern nur noch im Studio zu arbeiten und aus dem frü-her mehr oder weniger lokalen Geschäft wur-de eine globale Unternehmung, das dement-sprechend auch Einnahmen aus der ganzen Welt generierte.
Die Welt, in die William Orville Frizzell 1928 geboren wurde, der dann als Lefty Frizzell einer der großen Stars der Countrymusik in den 50er Jahren wurde, war eine ganz andere. Sein Vater Naamon Orville Frizzell und seine Mutter A.D. lebten in diversen kleinen Städtchen in Texas wie Tuckertown, Corsicana oder El Dorado, wo sie der Ölindustrie nachzogen, in der Naamon arbeitete. Man darf nicht verges-sen, dass die Jahre bis zum zweiten Welt-krieg in den USA zunächst von der großen Wirtschaftskrise beherrscht wurden, in denen es allen schwerfiel, ein gutes Auskommen zu erzielen. Davon wurde auch die Jugend von Lefty Frizzell beherrscht. Früh begeisterte er sich für die Musik von Jimmy Rodgers, des-sen Lieder er am Radio mitsang. Schon als Kind und Teenager trat er auf und besaß als 16-jähriger eine eigene Viertelstunde jeden Sonntagnachmittag in einer Variety-Show bei dem lokalen Sender KPLT in Paris, Te-xas.
Zur selben Zeit begann er, eigene Songs zu schreiben. Als er 1944 bei einem Wettbe-werb in Dallas den Siegerpreis (5 Dollars) gewann, war das ein Signal. Seine Mutter, die ihn immer zu den Konzerten fuhr, kaufte ihm einen Cowboy-Anzug, weil Lefty ein Fan der singenden Cowboys war. Doch mit 16 lernte er seine Frau Alice kennen und die beiden heirateten relativ schnell. Das bedeu-tete zunächst vor allem, dass Lefty die Musik zugunsten der Arbeit im Ölgeschäft vernachlässigte - schließlich musste er jetzt eine Fa-milie ernähren, denn seine Frau bekam rela-tiv schnell die Tochter Lois. Sie zogen nach Roswell, wo wegen der dort ansässigen Ar-my und dem Öl ein kleiner Boom herrschte. Seine Frau arbeitete als Kellnerin in einem Cafe und Lefty hatte Jobs als Musiker.
Nach und nach machte er einen Namen für sich, doch eine Affäre mit einer 16-jährigen brach-te ihm eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten ein, nach der er neu angfangen musste. Im Gefängnis schrieb er den Song, der später sein erster Hit werden sollte, 111 Love You A Thousand Ways. Nach dem Gefängnisaufent-halt überlegte er es sich eine Weile sogar, die Musik aufzugeben, aber er bekam zuerst ei-nen Job als Sänger in der Band von Joseph Rodney „Jelly" Elliott, ehe er seine erste gro-ße Chance bekam: Nachdem er wieder Auf-tritte bei dem Sender KSVP in Artesia, Texas bekommen hatte, erhielt ein Bassist und Sän-ger, mit dem er gespielt hatte, ein Angebot, im Ace Of Clubs-Club in Big Spring, Texas aufzutreten, was er jedoch ablehnte, weil er eine schwangere Frau hatte. Lefty nahm die Offerte an und erarbeitete sich eine loyale Gefolgschaft Vor allem verdiente er endlich genug, um seine Frau mit dem Kind nachho-len zu können. Bald hatte er sich einen guten, Ruf erarbeitet und wagte irgendwann die Rei-se ins nahe gelegene Dallas, wo er im Studio von Jim Beck eine Platte einspielen wollte. Für diese Session hatte Beck diverse Vertre-ter von Plattenlabeln eingeladen, unter ande-rem Don Law von Columbia. Er kam als letz-ter und hörte Lefty zu, als er I Love You A Thousand Ways sang. Mit diesem Lied fängt die 20 CD-Box An Article
LEFTY FRIZZELL AN ARTICLE FROM LIFE
From Life (Bear Family BCD 17540) an, die nicht nur den gesamten Ausstoß des Mannes, der auf Platten und im Rundfunk veröffent-licht wurde, bringt, sondern auch 8 CDs, auf denen der Sohn des Mannes sein Leben er-zählt sowie ein massives, 266-Seiten starkes Buch, in dem das Leben und die Karriere des Mannes minutiös erzählt wird und eine Viel-zahl seltener Fotos zu finden sind genauso wie eine ausführliche Diskografie des Man-nes bis zu seinem Tod am 16. Juli 1975. Doch das ist nicht alles: Tatsächlich
Das Booklet finden sich neben den offiziellen Titeln noch eine Fülle von privater Mitschnitte und De-mos aus den 40er und 50er Jahren sowie Mit-schnitte aus dem Radio inklusive eines Inter-views. Was zudem absolut beeindruckt, ist die Box selbst. Die 20 CDs sind in zwei Schichten gestapelt, von denen die ersten vier Doppel-CDs ein Puzzle darstellen, das ein Bild des Mannes ergibt wie auch die zweite Schicht. Die letzten acht CDs sind dann noch einmal in einem Pack unterge-bracht und bringen Cover von seinen LPs aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Nach dem ersten Hit mit seiner ersten Platte für Colum-bia (seiner ersten professionellen Studio-Auf-nahme überhaupt) - nicht seinem ersten selbst geschriebenen Lied I Love You A Thiu-sand Ways, sondern dem ebenfalls von ihm geschriebenen If You've Got The Money, I've Got The Time - war er über Nacht ein Star. Kein Wunder, wenn man sich überlegt, dass die im Juli eingespielte Platte am 4. Septem-ber auf den Markt kam und innerhalb sechs Wochen 500.000 Stück verkauft hatte. Man kann die Bedeutung, die Letty Frizzell für die Firma innerhalb eines Monats erhalten hatte, daran ermessen, dass bei seiner nächs-ten Session in Dallas gleich zwei Vizepräsi-denten von Columbia anwesend waren.
Bis 1952 landete fast jede seiner Singles in den Top 10 der Country-Charts, teilweise konnte er sogar vier Songs dort platzieren. Man kann sich vorstellen, wie sich sein Leben entwi-ckelte. Zunächst zog er mit seiner Familie nach Kalifornien um, das damals musikalisch noch deutlich wichtiger war als später Nash-ville. Ansonsten folgte Konzert auf Konzert und Lefty wurde zu der Legende, die er seit-dem in der Countrymusik geblieben ist. Es gibt zahllose Anekdoten über sein Leben un-terwegs und die meisten haben mit seinem
Alkohol-Konsum und den sich daraus ergeb-enden Zwischenfällen zu tun. Mit seiner Band, The Tune Toppers führte er den Klang ein, der in den 50er Jahren der führende der Countrymusik werden sollte. Der lange regie-rende Sound beispielsweise der singenden Cowboys, der teilweise in Richtung Swing ging, wurde abgelöst von einem auf den Kern um Pedal-Steel Gitarre, Fiddle, Klavier und der Rhythmus-Sektion reduzierten Sound ab-gelöst, den beispielsweise genauso Hank William brachte, der des öfteren mit Frizzell
ren Klang von Frizzell und seiner Zeitgenos-sen in einen, bei dem größere Besetzungen im Studio auftraten. Davon wollte Frizzell nichts wissen und dafür kann man durchaus Verständnis haben. Zum einen, weil er diesen Klang nun einmal sowohl als Sänger wie als Songschreiber perfekt beherrschte und zum anderen, weil sein Publikum auch nichts an-deres hören wollte. 1962 zog er von Kalifor-nien nach Nashville, das zwar damals noch bei weitem nicht das heutige Zentrum der Countrymusik war, aber bereits eine Studio-und Musiker-Szene hatte, die in der Country-
weivaing■ auf die Reise ging. Allerdings hörten die Hits 1952 auf. Danach trat Lefty zwar nach wie vor auf und hatte großen Erfolg damit, aber seine Singles und seine Alben hatten nicht mehr den kommerziellen Erfolg wie in den Jahren zuvor. Das musste ihn zunächst nicht bekümmern, schließlich war er inzwischen nicht nur Mitglied der Grand Ole Opry und seine Auftritte wurden im ganzen Land ge-wünscht, aber nach und nach ließ die Faszui-nation seiner Musik nach, wozu natürlich
ging natürlich auch eine Veränderung seines Lebens, die mehjr und mehr von seinem Al-koholkonsum bestimmt wude. Dass das seine künstlerische Potenz beeinträchtigte, zeigt sich beispielsweise darin, dass er seinen letz-ten großen Hit, Saginaw, Michigan, der ihm 1965 noch einmal eine Nr.-1 bescherte, teil-weise bei seinen Konzerten nicht einmal zu Gehör brachte, was seine neuen Fans natür-
lich nicht gerade erfreute. Dennoch blieb er
eldle-Marktlt19 21
war inzwischen durchschnittliche moderne Countrymusik eines immer noch guten Sän-gers und Songschreibers, der aber nicht mehr das Besondere besaß, was ihn in den 50er und 60er Jahren zu einem der herausragen-den Countrymusiker gemacht hatte. Inzwi-schen war er - auch aufgrund seines Alkohol-konsums - ein guter Sänger, der aber nie ei-nen Zugriff auf die Countrymusik bekam, wie sie in den 70er Jahren klang. Das will ich ganz bewusst nicht kritisieren - nicht um-sonst war die Streichersuppe, mit der damals viele Produktionen versehen wurden, nicht
LEFTY FRIZZELL Gilt)._
A der Höhepunkt der Geschichte der Country-musik. Aber sie betonierte die Vorherrschaft von Nashville. Erst in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Stadt in Tennessee zu dem herausragenden Zentrum der ehemals aus dem Appalachen-Gebirge stammenden Musik und dazu gehört auch die Kommerzialisierung des Ganzen inklusive der Tatsache, dass inzwischen alle großen und viele kleine Plattenfirmen Niederlassun-gen in der Stadt hatten und die frühere Viel-seitigkeit der dortigen Szene, zu der auch der R&B zählte, der Vergangenheit angehörte.
vor allem die Geburt des Rock'n"Roll bei-trug, bei der speziell der Rockabilly direkt von der Countrymusik abstammte und des-wegen das Interesse an der Countrymusik ab-schwächte. Dass diese Annahme zutrifft, be-weist auch die Tatsache, dass Lefty Frizzell erst 1959 mit der nicht von ihm geschriebe-nen Nummer Long Black Veil wieder ganz oben in den Country-Charts landete. Auf der anderen Seite muss man konstatieren, dass Lefty Frizzel an seinem Klang festhielt, ob-wohl speziell in den 60er Jahren sich die Countrymusik als solche zu verändern be-gann. Immer mehr Musiker änderten den pu-
ein echter Magnet für die Konzerte, die er ab-solvierte, doch das änderte sich natürlich mit der Zeit. Spätesten ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre wurde er immer mehr eine der vergessenen Größen der Countrymusik. 1973 kündigte Columbia seinen Vertrag. Trotz sei-nes inzwischen geringeren Standings in der Countrymusik hatte er keinerlei Probleme, ei-nen neuen Vertrag mit ABC abzuschließen. Aber wer sich die 70er Jahre Produktionen des Mannes anhört, wird feststellen müssen, dass das Besondere, das ihn vorher ausge-zeichnet hatte, nicht mehr zu finden war. Das
LEFTY FRIZZELL es 11/12
Wie so oft in den USA hatte der Kommerz das Kommando übernommen - Talent zählte nur insofern, als es sich in den herrschenden Klang einordnen ließ. Genau das aber gelang Frizzell nicht mehr und deswegen sank er schon Jahre vor seinem viel zu frühen Tod 1975 im Alter von 48 Jahren in die Masse der durchschnittlichen Countrymusiker ab. Umso erstaunlicher war, was nach seinem Tod passierte: Er wurde als Pionier gefeiert und als solcher geachtet.