Hannoverscher Allgemeinen, KW44 2015 Circulation: 556.000
40 Years Bear Family Records (3CD/1DVD) Artikelnr.: BCD 17050 Preiscode: PR2 EAN: 5397102170508 Sternzeichen Bär 40 Jahre Bear Family Records: Richard Weize bewahrt musikalische Schätze
VON MATHIAS BEGALKE
Man keimt Richard Weize nur mit Latzhose, Modell Waltons. Aus der Brusttasche lugt immer ein kleiner, verknautschter Teddybär. Der 70jährige Chef von Bear Family Records wirkt wie eine Kultfigur. Er bezeichnet sich selbst als im allerbesten Sinn „bescheuert" —das muss man wohl sein, wenn man mit Wiederveröffentlichungen von zum Teil fast vergessener Musik sein Geld verdient. Seine Plattenfirma, die er vor 40 Jahren gründete, ist Weltmarktführer. Sie operiert von Vollersrode aus, einem niedersächsischen WaldundWiesenIdyll nördlich von Bremen. Schon Weizes Aufzug verrät: Er ist ein ehrlicher, gewissenhafter Arbeiter, ausgestattet mit reiner Liebe für das, was er tut — und einer „großen Fresse", wie er sein Selbstbewusstsein in seinem typischen, herberfrischenden Tonfall umschreibt. Den Ruf, besser als die Konkurrenz zu sein, hat sich Bear Family Records mit prachtvollen, detailverliebten Boxsets erarbeitet. „Beyond Recall" etwa versammelt auf elf CDs 256 Titel, die von Juden im nationalsozialistischen Berlin aufgenommen wurden. „Next Stop Vietnam" ist mit 13 CDs die bisher kompletteste Sammlung von Songs zum Vietnamkrieg. Die Boxen beinhalten oft mehrere Hundert Seiten starke Bücher voll Fotos, historischen Dokumenten und Essays zum Thema, bewundernswert fehlerlosen Diskografien und präzisen Angaben von Aufnahmedaten und mitwirkenden Musikern. Die Erstauflagen liegen meist bei 1000 Stück. Wenn es gut läuft, verkauft er 3000. Es sind Nischenprodukte. Seine Kunden sind vor allem Sammler wie er. „Aber die sind mir egal", behauptet er. Wenn er auf 44 CDs 1244 Songs herausbringt, die schwarze Künstler in Europa vor 1927 aufgenommen haben, dann leite ihn nur sein eigenes Interesse und sein Instinkt, das Richtige zu tun. Dies kann man einem Nonkonformisten wie ihm durchaus glauben. „Black Europe" war in diesem Jahr für den Grammy nominiert. Die 500 Exemplare ä 750 Euro sind längst ausverkauft, Weize ist Historiker, Detektiv und Perfektionist. Ihn frustriert, wenn er ein Originalband nicht findet oder ihm Crosby, Stills & Nash einen Antikriegssong verweigern. „Ich nehme so etwas persönlich", sagt er, weil eine VietnamBox ohne diesen Titel weniger vollkommen
„Ich wüsste nicht, was ich ohne meine Sammlung machen sollte": Richard Weize.
ist. Meistens aber kriegt er, was er will. Für eine CalypsoBox stieß er mal kurz vor Redaktionsschluss irgendwo in Schottland doch noch auf eine lange unauffindbare Accetatpressung. Es muss ein ekstatischer Glücksmoment für ihn gewesen sein. Bei Sony Music und anderen Konzernen geht Weize ein und aus, um die Archive zu durchsuchen. Mit dem Manager von Bob Dylan ist er befreundet, mit Johnny Cash war er bekannt. Nach Nashville reist er regelmäßig. Dort kauft er auch seine Hosen. „Sie kosten dort 50, 60 Dollar, hier bezahle ich 150 Euro. Ich bin doch nicht bekloppt." Er trägt sie aus rein praktischen Gründen. „Ich hatte keine Lust mehr, dauernd meine rutschenden Jeans hochzuziehen." Die weltweite Anerkennung bei Kunden wie Künstlern ist gigantisch: Buddy Miller, in Nashville lebender Gitarrist, Bandleader und Produzent, legte sich
bisher fast 200 BearFamilyBoxen zu. Er nennt sie „The Wall", die Wand. „Jedes Mal, wenn ich an diese Wand trete, lerne ich dazu", sagt er. Lenny Kaye, Gitarrist der Patti Smith Group, bezeichnet Weizes Arbeit als „Archäologie". Bela B. von den Ärzten lobt dessen „stoische Geduld im Beschaffen immer neuer erhaltenswerter Musik". Weize wuchs in Bad Gandersheim auf. Seine Mutter besaß dort eine Buchhandlung. Auch sie war eine Sammlerin, und zwar in Sachen Familiegeschichte. Sie warf nie etwas weg. Diese Obsession hat sie ihrem Sohn wohl vererbt. Nach einer Lehre zum Dekorateur arbeitete er unter anderem in England als Vertreter für Wein, obwohl er bis heute keinen Alkohol trinkt. Stattdessen schwärmte er für den NashvilleSound von Jim Reeves und Don Gibson. Er schmiss den WeinJob hin. „Ich wollte frei sein", sagt er, als sei er selbst ein CountryOutlaw. Man kann es ziemlich mutig finden, dass er 1975 im TruckStopDeutschland ein Label für diese typisch amerikanische Musik gründete. Doch Unternehmergeist hatte er schon zuvor bewiesen, als er in den USA bestellte Langspielplatten mit Gewinn an Freunde weiterverkaufte. Seinen ersten Hit mit Bear Family Records landete er 1978: „The Unissued Johnny Cash" mit zwölf bis dahin unveröffentlichten Aufnahmen des Man in Black. 3000 LPs wurden ihm in die Bremer Goethestraße geliefert, wo er damals mit Frau und zwei Kindern lebte. Er verkaufte sie per Maiorder aus dem Keller heraus. Heute ist Bear Family Records nicht nur CountrySpezialist, das Programm umfasst unter anderem auch Blues, Soul und Jazz, Elvis und Rock and Roll, Neue Deutsche Welle und „alte, nicht doofe Schlager", wie es Weize formuliert. Ende des Jahres gibt der 70Jährige die Firmenleitung an zwei Nachfolger, beides langjährige Mitarbeiter, ab. Ein Bewahrer will er trotzdem bleiben und weiter in Archiven recherchieren. „Da verlass ich mich auf keinen anderen", sagt er. Das Suchen und Finden ist sinnstiftend für sein Leben. „Ich wüsste nicht, was ich ohne meine Sammlung machen sollte", sagt er. „Im Prinzip ist es meine Religion."
Zum 40jährigen Bestehen von Bear Family Records ist eine Geburtstagsbox erschienen. 72 Künstler, darunter RichardWeizeFreund Gunter Gabriel, Götz Alsmann und Ry Cooder, gratulieren mit Songs über Bären.
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