Stereoplay, Januar 2016 Auflage: 32.500
Musik - Bear Family - No problem
Alter und neuer Geschäftsführer: Label-Gründer Richard Weize (o. r.) und sein Nachfolger Detlev Hoegen
2015 feierte Bear Family seinen 40. Geburtstag. Label-Gründer Richard Weize wurde 70. Und viele Oldies-Fans fragen sich: Warum hat ein deutsches Label, das auf Repertoire-Antiquitäten spezialisiert ist, keine Nachschubprobleme?
Schreib bitte nicht, dass Bear Family ein Oldies-Label ist", bittet Detlev Hoegen. „Eine 16-CD-Box von Chuck Berry mit den kompletten Studio- und sorgfältig aufbereiteten Live-Aufnahmen - das eignet sich für keine Oldies-Party. Das ist ein Dokument der Musik- und Mediengeschichte." Bei dem Label aus der Nähe von Bremen trat Hoegen 2015 mit Michael Ohlhoff die Nachfolge von Richard Weize an. „Richard hat mich für die Pop-, musik-Archäologie begeistert. Sogar viele Amerikaner haben von ihm gelernt, welchen Wert ihre verdissenen oder verschollenen Country-, Folk- und Rock' n' Roll-Schätze haben." Für das Digitalisieren sol-cher Analog-Fundstücke sucht Hoegen die jeweils geeigneten Techniker. „Christian Zwarg ist unser Spezialist für das Mastern von Azetatfolien. Die haben bis zu 36 cm Durchmesser und wurden etwa für US-Radio-DJs gefertigt. Oft erweisen sich die-se seltenen Originale als her-vorragend klingende Vorlagen für unsere CDs. Dank Richards Kontakten zu Sammlern und Archiven kann Bear Family sol-che Quellen ausschöpfen." Zusammen mit Marcus Heu-mann masterte Zwarg auch die 2 Wirbelwind: Wenn Jerry Lee Lewis die Bühne rockte, ließ er am großen Konzertflügel jeden Gitarristen verdammt alt aussehen.
18-CD-Box „Jerry Lee Lewis: At Sun Records - The Collected Works". 623 Tracks hatte der Sänger und Pianist von 1956
bis 1961 in den Sun Studios in Memphis, Tennessee, aufge-nommen: beinahe 24 Stunden Spielzeit. Welches andere Label
würde sich trauen, solch eine Werkschau zu veröffentlichen? Hoegen sagt: „Bill Haley, die Everly Brothers und Johnny Cash hatten das erste nennens-werte Geld für Bear Family eingespielt. Damit konnte Weize experimentieren. Er bau-te konsequent eine Fangemein-de auf, um die ihn manche Mu-siker beneiden. Bear Family hat 35.000 Newsletter-Abonnenten, die Hälfte davon in Deutsch-land, Frankreich, der SchWeiz und Österreich. In den USA, sammeln vor allem die Country-Freunde unsere Platten." Die Country Music der Zukunft ist der Global Pop.
Laden in bester Lage: Am Broadway der Country-Metropole Nashville/Tennessee eröffnete Sänger Ernest Tubb 1947 seinen Plattenshop. Hier findet der Fan beinahe jede CD- und Vinyl-Box von Bear Family.
Das hätte sie nicht zu träumen gewagt: Ausgerechnet ein deutsches Platten-Label bereitete die Frühwerke der Country-Diva Dolly Parton akribisch und liebevoll für das 21. Jahrhundert auf.
Kaum beachtete Roots der Welt-musik präsentierte Bear Family 2013 in „Black Europe": afrikanische Musik in Europa aus den Jahren vor 1927 - von der B an an enrock-Nackttän zerin Josephine Baker bis zum nige-rianischen Gospel-Prediger, der für seine Glaubensbrüder in der Londoner Diaspora singt. Detlev Hoegen fand weitere Pop-Wurzeln in der ehemals deutschen Kolonie Namibia. Er berichtet: „Bis in die 1990er-Jahre war die Radiostation NBC in der Hauptstadt Windhoek das einzige Tonstudio im Land -eine Fundgrube für Bear Family. In Trinidad und Tobago hat der Karibik-Experte Merten Kaatz für uns Calypso- und Soul-Plat-ten aufgespürt, die außerhalb dieser Inseln nahezu unbekannt sind." Neben Schlager-Antiquitäten und im Rahmen seiner kultur-politisch korrekten Aktivitäten holt Bear Family auch Brisantes ans Licht: mit „Politically In-correct", einer Auswahl poli-tisch garantiert inkorrekter US-Oldies, die über Schwule, Mexikaner oder Frauen spotten. Wie bei vielen Bear-Family-CDs prangt auf der Cover-Rück-seite auch hier das Credo: „Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall." Winfried Dulisch ■
Stereoplay, Januar 2016 Auflage: 32.500