Akustik Gitarre Ausgabe: August/September 2015
BLUE MAN'S CORNER
Von Adrian Wolf en
Das soll sie sein, die definitive Reise durch den Teil des Blues, der mit akustischen Gitarren gespielt wird? So nennt sie sich, die vierteilige, je zwei CDs enthaltende Edition ,Acoustic Blues —The Definitive Collection Vol. 1 — Vol. 4' (Bear Family Records). Das Versprechen einer definitiven Zusammenstellung gab es schon öfter, aber mit den 201 versammelten Songs ist man dank Quantität nahe an dessen Einlösung. Was ist zu hören? In chronologischer Reihung viele Musiker, die mit der Gitarre in der Hand ihren Anteil zur Entwicklung des Blues beitrugen. Der Bedeutung der Musiker wird es nicht immer gerecht, wenn Giganten wie Blind Lemon Jefferson mit der gleichen Anzahl von Titeln geehrt werden, wie eher unbedeutende Musiker. Andererseits gibt es natürlich von Legenden wie Jefferson, Lead Belly oder Patton längst genug Material unter eigenen Namen.
Nicht wirklich glücklich ist allerdings die chronologische Anordnung. Die Aufnahmen aus den Zwanziger und Dreißigerjahren lassen charismatische Innovatoren mit viel Persönlichkeit, Temperament und oft sogar, individgiellen Tunings, Stil und Spielweisen hören. Das hat historische Gründe. Der Blues beginnt zwar vor der Erfindung der Schallplatte, aber erst deren Erfindung machte aus der Musik der Afroamerikaner eine wirkliche Besonderheit. Vor dem Blues galt das Interesse der in ihren Kinderschuhen steckenden Schall
plattenindustrie vornehmlich der Klassik. Ihre Aufnahmen verkauften sich mehr schlecht als recht. Der Blues als Populärmusik hingegen war eine Novität: Er versetzte die Schallplattenindustrie erstmals in die Lage, mit massenhaft verkauften Scheiben Geld zu verdienen. Seit den ersten Erfolgen von BluesSängerinnen in den Zwanzigerjahren und später auch vornehmlich von männlichen BluesBarden mit Gitarren schwärmten die TalentScouts auf der Suche nach allem aus, was schwarzer Hautfarbe war und eine Gitarre halten konnte. Das Ergebnis: eine große Anzahl von Aufnahmen mit Musikern von recht unterschiedlicher Qualität und Spielweisen, oft weit weg vom BluesSchema, so originell wie schön anzuhören.
Vor allem machten diese frühen Aufnahmen deutlich, dass der Blues nicht nur eine lokale Angelegenheit etwa im MississippiDelta war, sondern auch an der Westküste oder in Texas gespielt wurde. Wer den Blues hatte, der konnte ihn nun, dank der landesweit vertriebenen Schallplatten, überall hören. Damaligen Zeugenaussagen zufolge, fühlten sich Afroamerikaner nun erstmals als Gemeinschaft, die in ganz Amerika existent war. Das wirkte der Vereinzelung von Freud und Leid entgegen, veränderte aber den Blues insofern, als dass sich auf dem Weg zu Ware — ob der nationalen Verständlichkeit und Verkaufbarkeit — regionale und individuelle Kanten abschliffen.
Die chronologische Ordnung dieser Edition macht diesen Verlauf hörbar, geht aber auf Kosten individueller und regionaler Spielweisen. Die Chronologie regt eher zu Vergleichen zwischen Innovatoren aus den Zwanziger und Epigonen aus den Neunzigerjahren an. Ein Robert Johnson ist halt doch ein anderes Kaliber als, sorry, Rory Block. Eine Anordnung nach immer noch existenten regionalen Spielweisen oder nach Themen — Katastrophen, Sex, Politik — hätte diesen Eindruck einer zunehmenden Verflachung des Blues entgegen wirken können.
Aber, Kritik beiseite, diese im Booklet kurz und knapp kommentierten 201 Titel sind ein perfekter Einstieg. Also, bitte noch einmal hinhören, wenn in besterhältlicher Tonqualität Kokomo Arnold mit dem ,Milk Cow Blues' die Blaupause für einige Rockhits abliefert, und Skip James in unnachahmlicher Weise die Saiten für ,I'm So Glad' zupft. Mit diesen acht Alben gibt es zumindest ein kleines Glück vor dem Tod.
Magazin: Akustik Gitarre Ausgabe: August/September 2015 Auflage: 20.000
„Acoustic Blues The Roots Of It All Vol. 14"
ArtikelNr.: Vol. 1: BCD17229 Vol. 2: BCD17230 Vol. 3: BCD17231 Vol. 4: BCD17232
Pricecode: BS
EAN: Vol. 1: 5397102172298 Vol. 2: 5397102172304 Vol. 3: 5397102172311 Vol. 4: 5397102172328
AKUSTIK GITARRE 5/15