V.A. / KRAUT! – Die innovativen Jahre des Krautrock 1968 – 1979 – Teil 3 – 2CD-Review
...auf CD, Rock, Tipp, Zeitreise 30. Oktober 2020 Von Ulli Heiser
Künstler: Action (D), Aera, Brainticket, Bullfrog (D), Embryo, Guru Guru, Ihre Kinder, Kin Ping Meh, Kraan, Octopus (D), Sahara, Volker | Kriegel, Wolfgang | Dauner Label: Bear Family Records Musikstil: Jazz Rock, Krautrock, Progressive Rock, Rock
V.A. / KRAUT! – Die innovativen Jahre des Krautrock 1968 – 1979 – Teil 3 – 2CD-Review
Es geht weiter, Teil drei der Reihe "Die innovativen Jahre des Krautrock 1968 – 1979" liegt vor und wieder hat Bear Famliy Records Namen dabei, die der Rezensent noch nie auf dem Schirm hatte, fast vergessen hatte und solche, die den Mund auch heute noch wässrig machen.
Nachdem sich der erste Teil dem Norden und Teil zwei der Mitte Deutschlands widmete, handelt vorliegender dritter Teil von Bands aus dem Süden der Republik und da werden Orte genannt, die nun auch mal in meiner Nähe liegen. Ja, mehr als das, denn mit Zweibrücken ist sogar meine ehemalige Heimatstadt vertreten und da kann es nur eine Band geben, die auf so eine Zusammenstellung gehört. Eine Band, die wohl (u. a.) Uriah Heep das Fürchten gelehrt hätte, wäre sie nicht in der Provinz, sondern vielleicht im Hannoveraner Raum oder in anderen bekannten urbanen Schmieden am Werkeln gewesen: Action.
Gerade diese Band in der vorbildlichen Kompilationsreihe deutscher Musikgeschichte zu sehen, erfreut mich ungemein. Es zeigt auch, wie tief gegraben wurde, um Bands für "Die innovativen Jahre des Krautrock" auszuwählen, denn der Bekanntheitsradius dieser Band dürfte den südwestpfälzisch-, saarländischen Raum nicht sehr weit übersteigen.
Stark vertreten ist Bayern und da vor allem München. Neu für mich ist die Band Emergency aus der bayrischen Metropole, deren Musiker Tschechen sind und die einen wunderbaren Jazz Rock spielen. An dieser Stelle passt es wieder einmal zu sinnieren, ob es ein bestimmter Musikstil sein muss, oder ob es deutsche Musiker sein müssen, um von Krautrock zu sprechen. Das macht am besten jeder für sich aus. Nehmen wir neben den eben erwähnten Jazzrockern auch gleich Ihre Kinder, die ja stellenweise auch etwas jazzig daherkamen, auch Folk findet man in ihrer Vita und dann natürlich deutschsprachigen Rock.
Auch Between ist so ein Wanderer zwischen den Welten. Wieder eine Truppe, die mir neu ist und deren Mischung aus World und etwas klassischen Elementen einfach begeistert. Wie gewohnt, hat Burghard Rausch sehr schön recherchiert und informiert uns bis ins Detail im 112-seitigen(!) Booklet. Wenn man die Booklets dieser Kompilation als Lexika bezeichnet, liegt man meines Erachtens nicht daneben.
Zwei bekannte Tierchen sind auch auf dem Doppeldecker, der "Elektrolurch" von Guru Guru sowie Embryos "Tausendfüßler" und damit sind wir bei den Namen, die mit Sicherheit jedem Musikfan geläufig sind und auf einem Album wie dem vorliegenden unbedingt einen Platz haben mussten: Sahara, Kraan, Kin Ping Meh, Bullfrog, Octopus, Wolfgang Dauner, Volker Kriegel und vielleicht sogar Brainticket. Wobei Brainticket zum einen der Schweiz und Belgien zugerechnet werden muss und zweitens nicht einfach zu goutieren waren. Für mich ist das Album Cottonwoodhill, von dem "Black Sand" ausgewählt wurde, ein nicht wegzudenkender Klassiker. Diese angebliche Vertonung eines LSD-Trips mag man, oder man mag sie nicht.
Neben dem Vorhandensein von Action ist Joy Unlimited für mich die größte Überraschung. Den Namen hatte ich zwar schon mal gehört und im Leben nicht daran gedacht, wofür das Joy stehen könnte. "Contacts – Rudiment" ist zarter Prog Rock mit lieblichen Flötenklängen und elfenhaftem Gesang. Joy! Ja, da singt doch tatsächlich die wahrscheinlich gewaltigste deutsche Röhre, Joy Fleming, deren "Neckarbrückenblues" mir immer noch im Ohr ist und ich sie von daher niemals mit einer Stimme wie bei Joy Unlimited in Verbindung gebracht hätte. Hammer!
Apropos Stimme: Auf der vierten Scheibe der Mannheimer Kin Ping Meh, "Virtues & Sins" ist der Engländer Geff Harrison für die Vocals zuständig und der röhrt wie weiland der junge Rod Stewart bei den Faces. Es ist immer wieder erstaunlich, wie vielfältig die deutsche Musikszene einst war. Progressiv, jazzig, rockig, bluesig, elektronisch, mit deutschen Lyrics, mit englischen Lyrics, mit deutschen Musikern, mit nichtdeutschen Musikern und trotz allem kann man das ganz unpuristisch unter dem Begriff Kraut zusammenpacken. Muss man nicht, aber man kann. Reduziere ich den Krautrock alleine auf die Stilistik, dann kann auch eine Band aus den Anden oder aus den Weiten der mongolischen Steppe diese Richtung bedienen. Verfolgt man eher den kulturellen Ansatz, dann hat man die Beschränkung auf das alte Westdeutschland.
Aber Bear Family Records hat das gut gelöst, indem sie dem "KRAUT" ein Ausrufezeichen hintenangestellt haben. "KRAUT!". Mag es ein jeder definieren wie er will, wir sind uns einig, dass sich Musik aus diesen Landen vor nichts und niemandem zu verstecken braucht. Action sind meine Zeugen, denn wie bereits geschrieben, Uriah Heep hätte sich sehr warm anziehen müssen.
Es ist auch klar, dass es sicher noch hunderte regionaler Bands gab, die mangels Bekanntheit oder mangels dokumentierter Aufnahmen keinen Weg auf solche Alben finden. Aber regional sind sie den Älteren sicher ewig im Kopf. Und wem es geht wie mir, also nicht alle Bands auf den bisherigen drei Alben der "Die innovativen Jahre des Krautrock 1968 – 1979"-Reihe zu kennen, der sollte zuschlagen.