RE-RELEASES
Roy Orbison 1955-1965 Im Vergleich zu seinen „ernsthaft" rock-'n'-rollenden Kolle-gen war der 1936 in Texas geborene Sänger, Gitarrist und Komponist Roy Orbison irgendwie zu zahm, zu gefühlsdu-selig. Ein Muttersohn, der sich ganz einfach zu wenig als Rebell gab, zu wenig den Rock-'n'-Roll-Geist verkörperte. Als typischer Schmusesänger kam der nicht gerade hübsche Orbison aber auch nicht wirklich an, denn mit seiner etwas linkisch-schüchtemen Art und später mit der Hornbrille und seiner „exzentrischen" Frisur war er mehr ein Außenseiter als ein schillernder Star.
Erst 1960 mit dem beinahe pro-grammatisch „Only The Lonely" betitelten Song, den er zuvor sowohl Elvis Presley als auch den Everly Brothers angeboten hatte, gelang ihm der Durchbruch. Es sollten weltweite Millionen-Hits wie „Running Scared", „Crying", „Dream Baby", „Ooby Dooby", „Blue Bayou" und natürlich „Oh, Pretty Woman" folgen — eine Hitserie, die zum Ende der Sechziger jedoch jäh abriss. Orbison zog zwischenzeitlich mit seiner deutschen Ehefrau nach Bielefeld, veröffent-lichte zwar tapfer weiter, blieb aber glücklos. Eine Renaissance erlebte Orbison dann noch einmal kurz vor seinem Herztod (6. Dezember 1988), als er nicht nur neben Bob Dylan, Tom Petty, Jeff Lynne und George Harrison zum Travel ing Wilbury mit dem Pseudonym Lefty mutierte, sondern auch mit dem Pay-TV-Spe-cial „Black & White Night" mit Gästen wie Bruce Springsteen, lackson Browne, Bonnie Rain und Tom Waits einen gro-ßen Erfolg verbuchen konnte und mit dem posthum erschienenen und von Electric-Light-Orchestra-Chef und Roy-Fan Jeff Lynne produzierten Album MYSTERY GIRL Pla-tineinspiefte. Was bleibt, sind seine immer von fast überbordender Melancholie bestimmten Songs und seine unvergleichliche Stimme.
Diese soll nicht nur bekennende Orbison-Fans wie Springsteen und Dylan beeinflusst haben, sondern auch — so künden die Linernotes dieser Sieben-CD-Box — Großmaul Mick Jagger lernte mit ihnen, wie er eine dramatische Balla-de zu singen habe. 1955-1965 enthält sämtliche auffindba-ren Einspielungen des Künstlers aus seiner unbestritten besten Phase. Darunter auch so Abseitiges, aber immer Interessantes wie Orbisons Coca-Cola-Werbespots oder den 19. Take von „Paper Boy". Das alles in — bedenkt man das Alter der Aufnahmen — immer wieder überraschend gut klin-gender Audioqualität, versehen mit einem umfangreichen, reich bebilderten und schön gebundenen 96-seitigen Buch, inldusive einer neu recherchierten und sehr umfangreichen Biografie.