The day the music died“
GROOVY & SNAPPY
Nachtrag von René Oth zum 60. Todestag von Buddy Holly, Ritchie Valens und Big Bopper
Big Bopper
A ls während der „Winter Dance Party“ (1), einer ausgedehnten Konzertreise durch den Mitt- leren Westen, die amerikanische Rock’n’Roll-Ikone Buddy Holly im Alter von 22 Jahren mit Ritchie Valens und Big Bopper beim Absturz einer kleinen Beechcraft Bonanza auf ein schneebedecktes Kornfeld unge- fähr acht Meilen vor Mason City (Iowa) am 3. Februar 1959 ums Leben kam, war dies laut Don McLean und dessen einfühlsa- mem und metaphernreich vertex- tetem, achteinhalb Minuten lan- gem Song „American Pie“ „der Tag, an dem die Musik starb“ („the day the music died“).
Die Erfinder des Tex-Mex-Sounds
Auf dem Höhepunkt des hekti- schen Rock’n’Roll-Taumels einer aus den Fugen geratenen Jugend boten Buddy Holly, Ritchie Valens und Big Bopper eine reel- le Alternative zum akrobatischen Kraftrock eines Little Richard, der mit seinen grantigen und kantigen Stimmbändern eine wahre Rock’n’Roll-Hysterie ent- fachte.
Ohne in den Seim gefühlsseli- ger Melodien abzudriften, do- mestizierten sie den heißen Rhythmus, übernahmen Elemen- te des Rhythm and Blues und des Country and Western, pfropften diesem stilistischen „melting pot“ ein mexikanisches Edelreis auf und erarbeiteten die „Hillbilly cum rhythm and blues“-Aus- drucksweise, die späterhin als „Tex-Mex-Sound“ in die Rockge- schichte einging, weil sie sich hauptsächlich aus texanisch-me- xikanischen Komponenten zu- sammenstellte.
Buddy Holly, ein junger Mann mit offenem, intelligentem Hoch- schulgesicht, mit großer Horn- brille, freundlich-wachen Augen und naturgewelltem Haar, fuhr große Triumphe mit seinem au- ßergewöhnlichen Rockabilly- Musikstil (2) ein, den ein hüpfen- der Grundrhythmus von nervö- ser Behändigkeit kennzeichnet, wobei der Akzent auf dem Off-
beat liegt und die treibende Kraft auf dem schnellläufigen Bass.
Als Botschafter jugendlichen Sturm und Drangs ersang sich Ritchie Valens 1958 mit der zärt- lich-zerbrechlichen Liebesballa- de „Donna“ und dem auf Spa- nisch vorgetragenen „La Bamba“ (3) mit dem einprägsamen Gitar- renriff einen vorderen Platz in der Ruhmeshalle des Rock’n’Roll.
Zweigleisig auf Höhenfahrt
Im Sommer 1958 gelang Big Bopper der große Wurf mit dem außergewöhnlichen Song „Chantilly Lace“ (4), der „schwit- zigen Story von dem Burschen, der per Telefon ein widerspensti- ges Mädchen zu einem Date zu überreden versucht“ (Barry Graves), wobei es zum ersten Mal in der Geschichte der weißen Po- pulärmusik dazu kommt, dass die Lust beim Namen genannt wird. Als Komponist verbuchte Big Bopper einen posthumen Erfolg mit Johnny Prestons Tophit „Running Bear“, auf dem er als einer der beiden Indianer im Hin- tergrund der Aufnahme agierte.
Die Plattenfirma Decca lancier- te Buddy Holly zweigleisig auf den Rock’n’Roll-Markt, im Al- leingang auf dem Sublabel Coral mit überwiegend harmonischen Balladen wie „Peggy Sue“, „Early In The Morning“, „Rave On“, „Words Of Love“ und „It Doesn’t Matter Anymore“, und als Mit- glied der lebhaften Rock’n’Roll- Combo The Crickets beim Toch- terunternehmen Brunswick mit den temperamentvollen Treffern „Maybe Baby“, „Oh Boy“ und „That’ll Be The Day“.
Dass seine Aufnahmen heute noch genauso mitreißend über die Rillen kommen wie damals und sein unnachahmlicher „Schluckauf-Gesang“ nicht mit dem geringsten Patina-Ansatz behaftet ist, belegt die neue 4- CD-Box „Buddy Holly, The King of Tex-Mex“ (5), die ihn als einen der innovativsten Rock’n’Roller der Fünfzigerjahre zeigt.
Im Mittelpunkt der nicht weni- ger empfehlenswerten rezenten Zusammenstellung „Original Hits & Rarities“ (6) stehen auch Buddy Hollys ausgeprägter süd-
staatlicher Timbre, sei-
ne starken Vokalzerrungen, sein plötzliches Übergleiten von tie- fem Bass in die Fistelstimme (und wieder zurück). Auch ist hier hörbar, dass Buddy Holly als ers- ter Vokalist Streichinstrumente in Rock’n’Roll-Aufnahmen ein- setzte und sich von schluchzen- den Geigen umschmeicheln ließ.
Der mit sich selbst im Duett sang
Der „scheue Texaner“, der in Anzug und Krawatte und mit sei- nem Markenzeichen, einer schwarzen Hornbrille, als frene- tisch Tobender die Konzertsäle zum Kochen brachte, war der erste Rock’n’Roll-Star, der seine Stimme und seine Gitarre in der Synchronisation verdoppelte, was damals weit mehr als ein blo- ßer Gag war.
Durch die Verdopplung der Singstimme Buddy Hollys und dessen Gitarrenspiels kam es zu einer Loslösung des Klangs von seiner realen Verortung in Zeit und Raum und damit zu einer ei- genwilligen Betonung seiner sinnlichen Eigenwertigkeit, wo- rin laut Musikkritiker Peter Wi- cke ein wesentlicher Grund für die Faszination liegt, die Buddy Hollys Aufnahmen noch immer auslösen: „Sie sind mit ihren mi- nimalistischen Arrangements – Gesang, Gitarre, Schlagzeug und Kontrabass – einerseits weiterhin dem Ideal der aufgeführten Mu- sik verhaftet und andererseits schon Lichtjahre davon ent- fernt.“