Presse Archive - Johnny Burnette - Train Kept A-Rollin (9-CD) - Züricher

Kronprinz des Rock 'n' Roll
CD-Gesamtausgabe setzt Johnny Burnette ein Denkmal


Es war, als würde Dieter Bohlen Eminem produzieren. Als der 22-jährige Johnny Burnette am 7. Mai 1956 mit seinem Rock- 'n'- Roll-Trio im New Yorker Pythian Temple Studio aufkreuzte, hatte der Decca-Produzent Bob Thiele ein 32-köpfiges Streichorchester auffahren lassen. Die drei Rockabillys aus Memphis hatten gerade einen Amateurwettbewerb des Fernsehsenders ABC gewonnen. Produzent Thiele sollte den ungezügelten Sound der Südstaatler auf ein auch für Yankee-Ohren erträgliches Mass herunterzähmen. Vergeblich. Denn Johnny Burnette war wild. Zu wild für eine Branche, die schon Elvis für animalisch hielt.

Und Johnny Burnette war wilder als Elvis, in dessen Stimme stets eine zärtliche Verletzlichkeit mitschwang, die Mädchenherzen zum Schmelzen brachte. Johnny Burnette dagegen brach Herzen. Rüde und heftig, wie man es von einem Ex-Boxer erwarten konnte. Bei Elvis' Konzerten flogen Schlüpfer und Büstenhalter auf die Bühne. Wenn Johnny «Tear It Up» oder «Do Baby Do» stöhnte, stürmten die Teenies die Bühne und rissen ihm die Kleider vom Leib. Und wenn er «... tonight I'm gonna make you my love» hauchte, klang das wie ein bedrohliches Versprechen.

Dann streute Gitarrist Paul Burlison wieder ein paar Riffs ein, die so schnell und vertrackt waren, dass Eric Clapton, als er sich Jahre später mühte, «The Train Kept A-Rollin'» nachzuspielen, beschämt aufgab. Johnny Burnette und das Rock- 'n'- Roll-Trio, zu dem noch sein Bruder Dorsey am Bass gehörte, waren reinster, ungefilterter Rock 'n' Roll. Zu hören ist dieser epochale Sound auf der liebevollst editierten Gesamtausgabe, mit der 'das Bear Family Label dem vergessenen Heroen ein längst verdientes Denkmal setzt.

Wenn Elvis der King war und Jerry Lee Lewis sein Hofnarr, dann war Johnny Burnette der verstossene Kronprinz, den es vom Hof fernzuhalten galt. Obwohl es keinen nationalen Hit landete, nahm das Trio weiter unbeirrt Platten auf, tingelte durch den Süden und benahm sich so ungebärdig, dass es bald auf den lukrativen Landwirtschaftsausstellungen Auftrittsverbot hatte. Während sie in verrauchten Honky-Tonks rockten, schlugen sich Johnny und Dorsey so häufig die Köpfe ein, dass die Gallagher-Brüder vor Neid erblassen würden. Indes dämmerte der Industrie, dass mit weich gespültem Rock 'n' Roll Geld zu verdienen war, und erfand den Teenybopper Ricky Nelson.

Dessen schmachtende Balladen bedeuteten zwar das Ende des wahren Rock 'n' Roll, für Johnny Burnette aber waren sie ein Glücksfall. Genervt von den ewigen Streitereien mit seinem Bruder, verlegte er sich aufs Songwriting und schrieb für Nelson ein paar Hits, die ihm ein sorgenfreies Auskommen bescherten. Er zog nach Hollywood und modelte sich nach Nelsons Vorbild zum TeenIdol um. Mit «Dreamin'» und «You'r Sixteen» landete er 1960 selbst zwei Welt-Hits, an denen immer noch so viel Rockabilly-Schweiss klebte, dass man ihm nachsagte, er sei der einzige «Crooner, der die Geigen zum Swingen» bringe.

Genützt hat es ihm nicht mehr viel. Als es auch mit seiner «zweiten» Karriere bergab ging, ertrank er 1964 dreissigjährig bei einem Angelausflug im Clear Lake in der Nähe von San Francisco. Zu spät und zu unspektakulär, um wie Buddy Holly als Kultfigur durch die Rockgeschichte zu geistern, und zu früh, um wie Johnny Cash seine eigene Legende zu kreieren.

GUNTER BLANK


Johnny Burnette: The Train Kept A-Rollin'. Memphis To Hollywood. The Complete Recordings 1955-1964. 9-CD-Box, Bear Family Records,

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