Die Hesse komme
Womit die Rodgau Monotones in den 80er Jahren einen Hit feierten, machten die Petards beinahe 20 Jahre früher das erste Mal vor, Sie kamen zwar aus der oberhessischen Provinz, aber räumten einige Jahre in Deutschland groß ab. Ihre gesamte Karriere beleuchtet die 6 CD-Box Anthology. Vor 30 Jahren, als in Deutschland noch die CDU unter Kanzler Erhard regierte und das Wirtschaftswunderland noch intakt zu sein schien, rumorte es bereits kräftig im Untergrund. Im Gefolge der Beatles entstanden in allen kleineren und größeren Orten Gruppen, die ihren Vorbildern nacheiferten. Zwar blieben die meisten relativ schnell auf der Strecke, aber einige schafften es nicht nur, sich einen Plattenvertrag zu ergattern, sondern sie landeten sogar Hits, wie die Rattles, Lords und wie sie alle heißen. Unter diesen beinahe ausschließlich aus den Metropolen der Republik 'stammenden Formationen war eine, die damit nichts am Hut hatte: Die Petards.
Die kamen nicht nur aus dem nun wirklich winzigen Dorf Schrecksbach zwischen Fulda und Kassel, sondern sie lebten auch noch in einem Haus dort zusammen, als sie bereits Erfolg hatten, bekocht von der Mutter der Gebrüder Horst und Klaus Ebert und integriert in den Ort, in dem der Vater der beiden Eberts als Arzt arbeitete. Dennoch hatten sie Erfolge, von denen andere deutsche Bands nur träumen konnten: Eine in sechsstelligen Zahlen verkaufte LP (was allerdings wohl auch etwas damit zu tun hatte, daß A Deeper Blue zu einer Zeit für 10,- DM zu haben war, in der normale LPs noch 22,- DM kosteten), recht gut laufende Singles, zeitweise über 300 Fanclubs und Auftritte en masse, teilweise auch im Ausland (wie 1968 in der Tschechoslowakei).
Vor allem aber waren sie eine Einheit, in der jeder für etwas zuständig war: Horst erledigte das Management, Klaus war der musikalische Kopf, Bassist Roger Waldmann betreute die Fanclubs und Schlagzeuger Arno Dittrich die Groupies. Nicht schlecht für ein Quartett, das 1961 als Skiffle-Gruppe gegründet wurde — damals waren neben den Eberts und Waldmann noch der Schlagzeuger HansJürgen Schreiber dabei. Eigentlich kam das Ende 1965, als die vier mit ihrem Studium in Marburg und Gießen begannen. Doch als Klaus fair den Sommer ein lukratives Angebot bekam, reaktivierte er die Gruppe und man entschloß sich, das Ganze professionell zu betreiben. Von da an lief das ab, was die Jungs fünf Jahre lang zu einer der besten Beat- und Rockbands in Deutschland machte und was auf der 6 CD-Box Anthology dokumentiert wird, die alle Aufnahmen aus der Geschichte des Hessen-Vierers bringt, darunter das extrem rare Solo-Album von Horst Ebert, die Creedence Clearwater Revival-Coverversionen, die man als Zonk einspielte und vor allem Live-Mitschnitte aus dem Jahr 1967, die zusammen mit einem längeren Interview, den Set abrunden.
Was dabei absolut deutlich wird ist, daß die Jungs in punkto Professionalität, Kompositionen und Arrangements den meisten anderen in Deutschland bei weitem überlegen waren. Das war Beat und Rock, der genau auf den Punkt gespielt war, starke Songs, die dem Vergleich mit den englischen Gruppen standhielten und eine stets kompakt musizierende Einheit, bei der jeder seinen Platz hatte. Dank den Fähigkeiten von Klaus Ebert, der als Gitarrist und Sänger der Kopf der Gruppe war und auch noch an den Aufnahmen teilnahm, als er zugunsten einer Karriere in den Chefetagen der Musikindustrie 1970 ausgestiegen war — bevor er der Liebe wegen 1997 nach Rumänien ging, hatte er es bis zum Chef von Met ro nome gebracht — besaßen die Petards sowohl
Originalität wie den richtigen Biß und einen durchaus eigenständigen Sound. Dank des ausgezeichneten Booklets von Werner Pieper, der die Karriere der Jungs nachzeichnet und auch noch ihre Schicksale bis heute schildert, wird deutlich, wie sehr die Diskrepanz zwischen der Verehrung in der Provinz, die man mit einer Ausdauer bereiste, die andere Formationen erbleichen ,ließ, und dem fehlenden kommerziellen Durchbruch die" Musiker abnützte, bis schließlich 1971 nur noch die Auflösung blieb. InteresAnt ist auch .der Unterschied zwischen den letzten ,Aufnahnien, als Bernd Wippich für Klaüs Ebert den Gesang übernomnien hatteund das Ganze in Richtung Soul und Rock gedrängt hatte.
Wie zuvor bewiesen die Vier, daß sie rein handwerklich und von der Umsetzung der Kompositionen her in Deutschland wahrlich niemanden zu fürchten hatten: Zusammen:mit der Tatsache, daß sie 1970 und 1971 noch selbst die beiden ersten Burg Herzberg-Festivals veranstalteten, dient diese Box dazu, nicht nur eine der vergessenen Facetten der Geschichte der deutschen Rockmusik aufzuarbeiten, sondern auch den Petards endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und sie gleichberechtigt neben den Rattles einzuordnen. Zwar schafften sie nicht den Sprung von der Gruppe in diverse SoloKarrieren, aber dies hat — wie auch die Tatsache, daß sie zeit ihres Bestehens chronisch unterbewertet wurden — damit zu tun, daß sie aus der Provinz kamen und in ihr blieben. Wer weiß, was bei einem Umzug in eine der Metropolen passiert wäre.