Der Mann am Klavier
Einer der einflußreichsten Musiker des Rock'n'Roll ist Fats Domino, der wichtigste Pianist des neuen Stils. Doch seine musikalische Karriere begann schon viel früher Alle Aufnahmen von 1949-1962 präsentiert die 8 CD-Box Out Of New Orleans.
Als Antoine "Fats" Domino mit Ain 't lt A Shame 1955 scheinbar über Nacht zu einem der ersten großen Stars des Rock'n'Roll wurde, übersah man, daß der kleine, dicke Mann sich bereits seit mehr als sechs Jahren erfolgreich in der Musikszene seiner Heimatstadt New Orleans herumtrieb. Das ist deswegen wichtig, weil die Szene der Stadt ihn nachhaltig geprägt hatte. Sowohl sein Klavierstil, der vor allem von Professor Longhair kam, als auch sein Sound, dessen Rhythmus ebenso typisch war wie der Einsatz der Bläser, stammte aus der reichen Tradition von New Orleans.
Dementsprechend brach er nicht wie andere mit der Tradition der populären Musik. er veränderte sie etwas und erweiterte sie. Geboren wurde er am 26. 2. 1928 als Sohn eines Die Box bekannten Violinisten und sein Schwager, der mehr als 20 Jahre ältere Harrison Verrett, war ein bekannter Gitarrist, der später lange in seiner Band spielte. So war es eigentlich nur logisch, daß er. als er das Klavier entdeckt hatte, eigentlich immer nur Musiker werden wollte und deswegen bereits mit 14 von der Schule abging. Fortan arbeitete er tagsüber in der Fabrik und Das Booklet spielte abends in diversen Clubs.
Das ging so bis 1949. als er von dem Trompeter, Musiker und zeitweiligen Unternehmer Dave Bartholomew im Hideawav Club entdeckt wurde. Da Bartholomew außerdem für das in Los Angeles ansässige Imperial-Label der lokale Talentscout war, hatte das unmittelbare Folgen: Am 10. 12. 1949 spielte Fats Domino mit seiner Band in den./ & M Studios in der berühmten Rampart Street seine erste Single ein, The Fat Man. die prompt sein erster Hit wurde (in den R&B-Charts kam sie bis auf den 6. Platz, bis 1959 verkaufte sie über 1 Million Stück). Dennoch fängt die 8 CD-Box Out Of New Orleans (Bear Family Records BCD 15441 HI) nicht mit diesem Song an. sondern mit dem chronologisch ersten, den Domino je einspielte. Detroit Blues.
Beide Stücke definierten den Sound von Domino: Er ergab sich aus der Verbindung von Jazz (vor allem durch die Bläser), Blues und Rhythm&Blues. Das war damals nichts außergewöhnliches, aber in Verbindung mit dem Gesang und dem Klavierspiel des Protagonisten entwik-kelte diese Musik eine Sprengkraft, die nur wenige je erreichen sollten und die den Charme des Sounds von Domino ausmachte, so daß aus bekannten, ja sogar normalen Zutaten neue, erregende Musik entstand. Bände für den Einfluß, den Domino auf seine Nachfolger ausübte, spricht die Tatsache, daß Little Richard zuerst mit Fats Domino-Songs auftrat. Noch aus einem anderen Grund war dieser erste Trip ins Studio sehr wichtig für die Karriere von Domino: Nicht nur die Musiker, auch der Produzent Dave Bartholomew, der Arrangeur Cosimo Matassa und die Plattenfirma sollten für die nächsten Jahrzehnte Fixpunkte in der Laufbahn des Pianisten werden.
Diese Wärme und Gemütlichkeit, die fast alle seine Lieder auszeichnete war auch dafür verantwortlich, daß Domino sofort von allen akzeptiert wurde: Von den Rock'n'Roll-Fans. weil sein Material immer wieder mühelos den Nerv traf; von ihren Eltern, weil der glücklich verheiratete Familienvater ganz gewiß keine Bedrohung ihrer Kinder darstellte und von den Weißen, weil er so richtig schön das Klischee vom gemütlichen, musikalischen Schwarzen verkörperte. So verkaufte Domino bereits in den 50er Jahren Abermillionen von Platten. die musikalisch immer zu den besten Veröffentlichungen des jeweiligen Jahres zählten. Der Vorteil dieser Box im Vergleich zu der bei EMI erschienenen 4 CD-Box mit Imperial-Aufnahmen liegt zunächst einmal schlicht in der Fülle des Materials: Damals bekam man 100 Songs aus der Zeit von 1949-1962, diesmal gibt es deren 222.
Das liegt zum einen daran, daß jede Menge unterschiedliche Versionen und unveröf-fentlichte Fassungen der schließlich erschienenen Tracks vorliegen, aber auch daran, daß hier der gesamte Ausstoß dieser Jahre präsentiert wird, ohne daß einer weggelassen wurde. Natürlich wurden wie bei Bear Family gewohnt, alle Titel klanglich überarbeitet, so daß Domino in ganz neuem Glanz erstrahlt. Ein zusätzliches Plus ist das ausgezeichnete Booklet, das auf 72 Seiten nicht nur jede Menge seltenes Fotomaterial präsentiert, sondern daneben auch einen ausgezeichneten Text von Rick Coleman, ganz zu schweigen von den wie üblich minutiösen disco-graphischen Angaben vom Chef persönlich.
Deswegen ist diese Box ein Muß für jeden Rock'n'Roll-Fan, nicht nur für die Anhänger des kleinen, schwarzen Manns, sondern auch für die des New Orleans-Sounds insgesamt, denn hier bekommt man eben nicht nur die Musik von Fats Domino, sondern einen Querschnitt durch den so typischen Klang der Hafenstadt am Golf von Mexiko, die mit ihrem typischen Sound die Rockund Popmusik bis heute belebt hat, wovon beispielsweise die Rolle gerade der Songs von Domino bei der Entstehung des Reggae ein beredtes Zeugnis ablegt.