Seit den fünfziger Jahren sorgte und sorgt Jerry Lee Lewis für Aufregung, was sowohl seine Musik, als auch sein Privatleben betrifft. Dem furiosen, unbändigen und vollkommen losgelösten Rock’n’Roll der Anfangsjahre standen immer wieder auch negative Schlagzeilen hinsichtlich seines Lebens abseits der Bühne entgegen. Als im Mai 1958 durch einen Journalisten öffentlich gemacht wurde, dass der damals gerade erst 22-Jährige in dritter (!) Ehe seine 13-jährige Cousine Myra Gale Brown geheiratet hatte, hatte er es sich endgültig mit sämtlichen Sittenwächtern verdorben. Die Sache entwickelte sich zu einem riesigen Skandal und Lewis landete sowohl bei Radio-Stationen, als auch Konzert-Veranstaltern auf der Schwarzen Liste. Seine Gage von einst 10.000 Dollar pro Show fiel auf erschreckende 250 Dollar für Auftritte in Kneipen und kleinen Bars, da ihn sonst niemand mehr buchte.
Dennoch hatte er einen weiterhin gültigen Deal bei Sun Records, den er auch erfüllen musste. Er machte also weiterhin regelmäßig Aufnahmen und veröffentlichte Singles, die nun aber niemand mehr kaufen wollte. Aus dieser Zeit stammen die Tracks der mir nun vorliegenden LP "I Can’t Seem To Say Goodbye", die getrost als zweiter Teil der in diesem Magazin bereits vorgestellten In The Beginning angesehen werden darf. Auch die hier vertretenen Nummern waren bisher noch nie auf Vinyl erschienen und enthalten alternative Versionen altbekannter Titel wie beispielsweise "Good Golly Miss Molly oder "Sweet Little Sixteen".
Es sollte bis 1968 dauern, bis Jerry Lee Lewis ein echtes Comeback mit Country-Alben gelang, wobei dieser Stil bereits von Anfang an ein fester Bestandteil in seinem Repertoire war. Auch auf diesen 14 Tracks haben wir es mit einer Mischung aus Rock’n’Roll- sowie Country-Stücken im Lewis-Stil zu tun. Die Musik hatte nichts von ihrer Qualität eingebüßt und speziell die flotteren Sachen wie etwa "As Long As I Live" oder "Bonnie B" machen mächtig Spaß. Aber auch wenn es mehr in Richtung Country-Balladen geht ("Invitation To Your Party", der Titelsong oder "How’s My Ex Treating You"), gibt es nichts zu beanstanden. Abgerundet wird die erste Seite von dem ebenfalls sehr starken und wieder sehr flotten "Hong Kong Blues". Im Jahr 1963 gab es das kurze Aufflackern eines Comebacks, wie fünf Jahre später (als Jerry Lee dann zum zweiten Mal so richtig durchstartete) erneut mit Country-Songs. Die letzten drei Tracks stammen aus dieser Phase und wurden alle in einer einzigen Session, am 28. August 1963 aufgenommen.
Wie auch schon "In The Beginning" stellt "I Can’t Seem To Say Goodbye" also eine tolle Ergänzung für die Vinyl-Sammlung dar. Unstrittig dürfte sein, dass die enthaltene Musik unantastbar ist, weshalb darauf gar nicht genauer eingegangen werden muss. Der Sound ist ebenfalls wieder sehr gut restauriert worden und deshalb überzeugend. Also viele gute Gründe, sich diese beide Scheiben entweder in die Sammlung zu stellen oder wahlweise unter einen bzw. mehrere bald schon wieder stehende Weihnachtsbäume zu legen.
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