Am Vietnamkrieg entbrannte in den USA ein Kulturkampf. Der Krieg entfesselte die Popkultur und spaltete das Land – bis heute. Nachhören kann man das auf der nun erschienenen größten CD-Sammlung zu Vietnam.
Folksänger Country Joe McDonald spielt auf seiner Gitarre im August 1969 beim Woodstock-Festival. Daneben stehen einige Männer und schauen ihm zu.
Folksänger Country Joe McDonald beim Woodstock-Festival im August 1969
Anfang 1964 klingen sie noch weit, weit weg, die Kriegstrommeln in Jim Reeves Song "Distant Drums". Irgendwo in einem fremden Land im fernen Süden Asiens herrscht ein Krieg. Doch noch taugt der heraufziehende Konflikt in Vietnam nur als Hintergrundtapete eines schwülstigen Liebeslieds. Noch interessiert sich die US-Öffentlichkeit mehr für die Fronten des Kalten Krieges in Kuba oder Deutschland. „Mister, where is Vietnam?“, fragen sich Bob Necaise und der kleine "Gary D" in einem unschuldigen Duett. Eine Menge Amerikaner fragt sich dasselbe.
Die Antwort gibt ihnen Präsident Lyndon Johnson im August 1964. In einer Fernsehansprache erklärt er, nachdem die US-Marine im Golf von Tonkin von Nordvietnam angegriffen worden sei, gelte es nun mit "allen nötigen Maßnahmen Freiheit und Frieden in Südostasien zu verteidigen". Johnsons Rede ist der offizielle Auftakt zur amerikanischen Tragödie in Vietnam. Bald wird dieser Albtraum als erster Fernsehkrieg der Geschichte in Amerikas Wohnzimmer flimmern.
Größte Sammlung von Tondokumenten zu Vietnam
Cover der CD-Box 'Next Stop is Vietnam' von 'Bear Family Records'
Cover der CD-Box "Next Stop is Vietnam"
Zu hören gibt es die Rede des Präsidenten und weitere gut 17 Stunden Tonmaterial jetzt auf der Mammut-CD-Sammlung "Next Stop is Vietnam. The War on Record 1961-2008". Diese bislang größte Zusammenstellung zum Vietnamkrieg hat das Label Bear-Family herausgegeben, das sich mit seinen aufwändigen Editionen längst international einen Namen gemacht hat. Die Sammlung enthält 13 CDs mit 334 Songs, zahlreichen historischen O-Tönen, Reportagen, Soundschnipseln von Präsident Nixon bis zur legendären nordvietnamesischen Propagandastimme, die von den US-Soldaten den liebevollen Beinamen "Hanoi Hannah" erhielt.
Zusammen mit einem reich bebilderten Katalog von 304 Seiten ergibt die CD-Sammlung ein opulentes Tableau der Vietnam-Ära. Es reicht von 1961 bis in die Gegenwart. Denn der Vietnamkrieg erzeugte tiefe Brüche und Verwerfungen in der US-Gesellschaft, die bis heute allgegenwärtig sind.
Kräftemessen der Liedermacher
Cover der Schallplatte mit dem Titel 'Eve of Destruction'. Auf den Cover sind ein stilisierter Atompilz sowie zwei Fotos des Künstlers abgebildet.
"Eve of Destruction" von Barry McGuire
Wie die CD-Sammlung eindrucksvoll zeigt, entbrennt am Vietnamkrieg daheim in den USA ein Kulturkampf. Ausgetragen wird er ab Mitte der 1960er Jahren auch als eine Art Sängerkrieg. Kriegsgegner wie auch Befürworter des amerikanischen Engagements in Südostasien schicken ihre Liedermacher ins Rennen.
1965 schafft es mit Barry McGuires "Eve of Destruction" erstmals ein Antikriegslied an die Spitze der US-Charts. Der Hit wird zum Inbegriff des Protestsongs. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Mit "Dawn of Correction" parodiert das Trio "The Spokesmen" das Original und macht aus dem "Abendrot der Zerstörung" das "Morgenrot der Verbesserung". Als die Folk-Sängerin Buffy Sainte-Marie den "Universal Soldier" anklagt, antworten die Surf-Rocker Jan und Dean mit "Universal Coward", einer beschwingten Verhöhnung von Kriegsdienstverweigern.
Vietnam als Western
Da können Staff Sergeant Saddler und seine Fans nur Beifall klatschen. Barry Saddler, der singende Oberfeldwebel, landet 1966 mit der Ballade "Green Beret" den patriotischen Überhit: Hundert Mann und ein Befehl – die Kavallerie reitet aus dem Fort, um die Indianer vom Vietkong zu verjagen. So stellt sich das patriotische Amerika den Vietnamkrieg vor. Die Hauptrolle im gleichnamigen Film spielt John Wayne.
Doch wo Oberfeldwebel Saddlers Trömmelchen geht, da stehen nicht alle parat. Ihm und seinem Krieg schleudern tausende Hippies in Woodstock das wahrscheinlich berühmteste "Fuck" der Geschichte entgegen. Der da die Massen souffliert, ist Folk-Sänger Country Joe McDonald. Er höchstselbst schrieb das Vorwort zu dem Katalog der CD-Sammlung "Next Stop is Vietnam". Doch natürlich dürfen auch die anderen Ikonen der Protestmusik nicht fehlen, nicht Joan Baez, nicht Pete Seeger oder Bob Dylan - die üblichen Verdächtigen, die bis heute den Soundtrack der Friedensbewegung beisteuern.
Das Navy Trio "The Westwind" im Oktober 1965 mit einem spontanen Konzert unter Deck des Flugzeugsträgers Iwo Jima
Soweit, so gut - und so erwartbar. Doch was die CD-Sammlung zu einem editorischen Glanzstück macht, sind die vielen kleinen Schätze, die Herausgeber Hugo Keesing aus dem langen Nachhall des Krieges geborgen hat. Unzählige Veteranen des Krieges fassten ihre Erlebnisse im Krieg und nach der Heimkehr musikalisch zusammen. Zumeist sind es rührige Countrysongs, veröffentlicht im Selbstverlag auf Kassetten oder selbst gebrannten CDs. Die Zusammenstellung versammelt erstmals Dutzende dieser Zeitzeugnisse. Songs, wie A.R. Haynes "Back in Vietnam". "Sie nennen es Irak, aber wir sind zurück in Vietnam", heißt es im Refrain des Songs aus dem Jahr 2003. Da ertönten auf ein Neues die Kriegstrommeln, weit, weit weg in einem fernen Land.
"Next Stop is Vietnam. The War on Record 1961-2008", CD-Box, Katalog; Bear Family Records 2010, 195,- €.
Autor: Sven Töniges
Redaktion: Marco Müller
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