Presse - Next Stop Is Vietnam - Die Welt Feuilleton

FEUILLETON
PLAYLIST
Die Ballade vom Dienst an der Waffe

Michael Pilz
Für Volk und Vaterland sang der Soldat Charles Bowens 1966 „Christmas In Viet Nam“. Er diente in Fort Polk in Florida, fernab der Front, und sein Gesang sollte ihn vor dem Kampfeinsatz bewahren. Nachdem Private Bowens & The Gentlemen From Tigerland die Aufnahme mit dem Signal zum Zapfenstreich beendet hatten, kom- mandierte die Armee sie unverzüglich ab. Das Fest verbrachten die Rekruten in den Reisfeldern Vietnams, wo sich die Spur der Musiker verliert. Man kann sich aber denken, dass sie an der Wehrpflicht zweifelten. Vor allem an der Willkür des Systems, das sie als aufstrebende Künst- ler in den Krieg schickte und angehende Akademiker verschonte.
Pünktlich mit den letzten Einberufun- gen der Bundeswehr erscheint die Song- sammlung „Next Stop Vietnam – The War On Record: 1961-2008“. Auf 13 Al- ben, in 300 Liedern geht es vordergrün- dig um den Soundtrack eines Krieges im vergangenen Jahrhundert. Doch wer auf- merksam hineinhört, nimmt an einer un- erschöpflichen Debatte um die Wehr- pflicht teil. Der Streit entbrannte mit dem militärischen Konflikt im Osten – und er war auch 1973 nicht beendet, als die Kämpfe unvermindert tobten und Amerika vom allgemeinen Zwang zur Waffe Abstand nahm. Die Freiheit wurde nicht am Hindukusch verteidigt, son- dern vor Hanoi. Aber die Argumente für eine Berufsarmee haben sich 38 Jahre lang gehalten, um nun auch die Bundes- wehr zu reformieren.


Die CDs der Sammlung heißen „Proud To Serve“, „It’s America, Love It Or Lea- ve It“ oder „Hell No – We Won’t Go“. Unter so Altgediente wie Bob Dylan und Bruce Springsteen mischen sich die Amateure als Rekruten des Musikge- schäfts. In Michigan setzte sich Victor Lundberg 1967 vor ein Mikrophon, ein älterer Handelsvertreter, und warnte den Sohn im Sprechgesang: „Verbrennst du deinen Wehrpass, so verbrenne auch deine Geburtsurkunde, dann habe ich keinen Sohn mehr.“ Als Erwiderung san- gen ihm unzählige Söhne zur Gitarre gu- te Gründe zur Verweigerung entgegen – wie in einem Singspiel zur Gewissens- prüfung. Country Joe McDonald hat die bisher umfangreichste Militärsong-Editi- on betreut. Der Veteran erörtert, wes- halb er in Woodstock dazu aufrief, „Fuck!“ zu buchstabieren: „Es war das am häufigsten benutzte Wort im Alltag des Soldaten.“ Illustriert wird seine Bot- schaft durch den beiliegenden Bildband. Man sieht, wie Rekruten ihrer Lage mit zivilen Bräuchen trotzen, Folksongs spielen und die Mannschaftszelte mit Hotelschildern verzieren.
Für den Menschen war die Wehr- pflicht nach den Weltkriegen ein Fluch, für die Musik war sie ein Segen. John Lennon maulte zwar, dass Elvis starb, als er nach Bad Nauheim zum Militär ging. Aber ebenso wie Johnny Cash zuvor aus Landsberg, kehrte Elvis Presley als ge- heimnisvoller Gospelsänger heim, der sich im alltäglichen Popgewerbe schwer tat. Cash sang „The Ballad Of Ira Hayes“, die tragische Geschichte des Indianers, der die Flagge seines Landes auf der In- sel Iwo Jima in die Asche bohrte und wieder daheim als Alkoholiker im Reser- vat zugrunde ging.


Je unverbindlicher die Wehrpflicht wurde, umso mehr verarmte die Musik. Der Engländer Paul Hardcastle nahm 1985 „19“ auf, seine gestammelte Empö- rung über längst geschlagene Schlachten junger Amerikaner in Fernost. Man konnte sogar dazu tanzen. Von „In The Army Now“ von Status Quo bis „Citizen Soldier“ von 3 Doors Down: Das Militär war zur sozialen Schattenwelt geworden, mit der man als Simulant oder Ersatz- dienstleistender nichts mehr zu schaffen hatte: „Nothing to do all day but stay in bed – you’re in the army now.“
„Mami, darf ich heute töten?“: Ein US- Soldat, der einen Song der Misfits zitiert.


Die Bundeswehr mit ihren Staatsbür- gern in Uniform konnte das Liedgut kaum bereichern. Fee aus Braunschweig sangen 1987 „Du musst zur Bundes- wehr“, sie warnten den Rekruten davor, auf Befehl des Staates in gänzlich unan- gemessener Weise zu verblöden. Nie- mand spricht noch über Fee, die Band. Die NVA hatte es musikalisch besser oh- ne „Innere Führung“, dafür mit mehr Leid im „Ehrendienst“. In den Kasernen Eggesins wurde erbost „Soldat, Soldat“ gesungen von Wolf Biermann oder trau- rig „Zeit, die nie vergeht“ gehört, ein Stück der Ost-Gruppe Perl, die heute selbstverständlich auch kein Mensch mehr kennt.


Musik gilt als die Kunst der Zeit, und Wehrpflicht hieß nichts anderes, als der verlorenen Zeit zivil klingende Lieder des Trostes abzuringen. Deshalb wurde keine Marschmusik bevorzugt, sondern Folk und Pop. Sven Regener schrieb nicht nur „Neue Vahr Süd“, das Buch zur Bundeswehr – mit Element Of Crime sang er dann auch im Spielfilm „NVA“ die Hymne der Entlassen: „It’s All Over Now, Baby

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