Presse - Next Stop Is Vietnam - Die Zeit Online

Singen gegen die Katastrophe
Zu Zeiten des Vietnam-Krieges gehörte musikalischer Protest zur Popkultur, das zeigt eine gigantische neue CD-Box. Aber wer erhebt heute eigentlich noch seine Stimme?

© Bear Family
Musizierende US-Soldaten in Vietnam. Von 1965 bis 1973 waren amerikanische Truppen dort stationiert
Musizierende US-Soldaten in Vietnam. Von 1965 bis 1973 waren amerikanische Truppen dort stationiert
Lieder gegen den Krieg? Heutzutage? Es gibt die üblichen Verdächtigen, notorisch politische Bands wie New Model Army (Bloodsports), Chumbawamba (Jacob's Ladder) oder Nine Inch Nails (Capital G). Selten rutscht Mainstreamern so was wie Kriegskritik raus, Madonna ihr schon wieder sieben Jahre altes American Life oder Linkin Park ein Stück wie Hands Held High.

Zu Zeiten des Vietnam-Krieges war das anders. Kaum eine Band, die nicht darüber gesungen hätte. Der junge Rock wurde politisch und der Krieg zum großen Thema in der Popkultur. Ohne Vietnam hätte Jimi Hendrix die Hymne nicht zerfetzt und die Geschichte der E-Gitarre einen Meilenstein weniger. Rock war der Soundtrack des Krieges, siehe Apocalypse Now. Und Soldaten schrieben Lieder, die sich mit dem beschäftigten, was sie beschäftigte: dem Krieg.

Das beweist auch eine neue Kompilation über den Vietnam-Krieg in der Musik. Dreizehn jeweils thematisch sortierte CDs versammeln Lieder gegen den Krieg, für den Krieg, über den Krieg, vor dem Krieg, nach dem Krieg. Auf den Protestsong Universal Soldier von Buffy Sainte-Marie antwortet Jan Berry mit dem Verweigerer-Schmählied Universal Coward, Barry McGuires Eve Of Destruction verballhornen The Spokesmen zum Dawn of Correction.

Die Lieder gegen den Krieg kennt man zumeist. Die editorische Leistung der Herausgeber zeigt sich eher an hurrapatriotischen Propagandaliedern wie It's For God, And Country, And You Mom (The Ballad Of Viet Nam) von Ernest Tubb & His Texas Troubadours oder The Ballad Of The Green Berets von SSgt Barry Sadler, U.S. Army Special Forces. Sie zeigt sich an den vielen Liedern, die von Vietnam-Soldaten im Einsatz oder zurück in der Heimat stammen.

Besonders beeindruckend ist die mit Vietnam's After Effects betitelte letzte CD der Box, die von Walking Time Bomb über Shell Shock PSD und Thorazine Shuffle bis Agent Orange eine gesungene Liste der physischen und psychischen Diagnosen von Veteranen liefert. Dagegen wirken viele schräge Lieder frivol, wie David Ballas Lied über die billig gekaufte Corvette, in deren Handschuhfach Grüße vom Vorbesitzer liegen – einem in 'Nam gefallenen, der dem Protagonisten fortan als Schutzengel dient. Oder jener sarkastische Letter To A Buddy, in dem Joe Medwick mit gespieltem Neid an die Front schreibt: Er wünschte, er wäre auch da, wo was los ist, statt jeden Abend Partys zu feiern mit der Frau des Soldaten und dem Typen, der jetzt bei ihr wohnt.

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http://www.zeit.de/kultur/musik/2010-08/vietnam-krieg-pop

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