Musik zum Vietnam-Krieg
Dylan im Ohr, Knarre in der Hand
Zerrissen zwischen Patriotismus und Protest: Erstmals wird die Musik der US-Soldaten im Vietnam-Krieg in beeindruckender Vollständigkeit dokumentiert. Hunderte Titel spiegeln den höchst widersprüchlichen Zeitgeist der Ära - manche wurden von GIs selbst gesungen.
Man muss sich einmal vor Augen führen, wie umständlich das alles war: In einem Feldlager, Tausende Kilometer von Kansas, Kentucky oder Kennebunkport entfernt, umgeben von Mücken, feuchter Hitze und Gefechtslärm stand der Plattenspieler. Irgendwie hatten das filigrane Gerät und die noch empfindlicheren Vinylplatten der Beatles, Byrds oder Doors unbeschadet den Weg nach Vietnam gefunden - und beschallten die zwischen Patriotismus, Todesangst, Heimweh und Frontfrust schwankenden Soldaten mit tröstenden Klängen.
Über so viel behutsame Materialpflege kann ein moderner Soldat nur milde lächeln, denn im iPod-Zeitalter trägt er auch die umfangreichste Musiksammlung locker in der Brusttasche mit sich herum. Und wenn er seine Kameraden an seinen Tunes teilhaben lassen will, tauscht er den Kopfhörer einfach mit Aktivboxen aus. Und los geht die Party, ob in Falludscha oder Jalalabad. Doch während die Musik der US-Streitkräfte im Vietnam-Krieg (1965 bis 1973) bis heute geläufig ist und Teil der Pop- und Protestkultur wurde, gibt es kaum bekannte oder signifikante Songs, die mit den aktuellen Feldzügen der Amerikaner in Afghanistan und dem Irak in Zusammenhang gebracht werden. Sicher: Protestsongs gibt und gab es viele, ihre prominentesten Interpreten sind Neil Young, Pearl Jam, Dixie Chicks, Conor Oberst und die Beastie Boys. Doch deren Lieder dienten eher der Mobilmachung an der Heimatfront als den GIs im Wüsteneinsatz zur Linderung ihrer Leiden.
Vielleicht hat das auch viel mit der Beliebigkeit zu tun, die Popmusik durch ihre allgemeine digitale Verfügbarkeit und die damit einhergehende Entwertung erlebt hat: Jeder hört seinen eigenen Kram, und wenn sich doch geeinigt wird, dann wahrscheinlich auf den unpolitischsten und banalsten gemeinsamen Nenner - Katy Perry, Black Eyed Peas, vielleicht noch Eminem und 50 Cent. Ein basslastiger Lalala-Soundtrack, der das Geräusch der Panzerketten und Humvee-Motoren übertönt.
Erstmals rares Songmaterial der Soldaten veröffentlicht
Früher war nicht alles besser, aber die Musik war frisch und neu, die Gitarren waren erstmals laut und elektrifiziert, die Texte waren düster, brütend und engagiert und hatten einen anderen Wert für die Soldaten. Das wird jedem auf eindrucksvollste Weise klar, der sich durch die mehr als 330 Songs hört, die das kleine, auf opulente Archiv-Veröffentlichungen spezialisierte Label Bear Family Records in einer 13 CDs umfassenden Box zusammengefasst hat. "...Next Stop Is Vietnam" dürfte das vollständigste Kompendium der Musik zum Vietnam-Krieg sein, das bisher zusammengestellt wurde. Basierend auf einer im Internet niedergelegten, 4000 Titel umfassenden "Vietnam Discography" forschte die Bear-Family-Mannschaft über Jahre hinweg nach Tondokumenten, nie veröffentlichten Aufnahmen und feilschte um Veröffentlichungsrechte.
Nicht alles haben sie bekommen, so fehlen mit "Run Through The Jungle" und "Fortunate Son" gleich zwei der wohl wichtigsten Vietnam-Ära-Songs von Creedence Clearwater Revival, sie sind jedoch trotzdem in der Box vorhanden, von einer damals geläufigen Coverband eingespielt. Gegliedert wurde das umfangreiche Werk streng chronologisch, so dass schnell ersichtlich wird, wie die Stimmung vom Jubelpatriotismus ("The Ballad of the Green Berets") und ersten, verhaltenen Friedensballaden ("Where Have All The Flowers Gone") nach der blutigen Tet-Offensive in Skepsis und puren Protest umschlug (The Fugs' "Kill For Peace", Bob Dylans "Masters Of War", Edwyn Starrs "War"). Einzelne CDs behandeln die vor allem in der Country-Szene nachhaltig starken Durchhalteparolen, andere beleuchten, welche Songs von den GIs im Einsatz bevorzugt gehört wurden, gleich zwei CDs präsentieren extrem rares, bisher nur auf Tapes und Magnetbändern gespeichertes Material, das von Soldaten im Feld eingespielt wurde und erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Bis in die achtziger und neunziger Jahre, als der Vietnam-Krieg durch Filme wie "Platoon" und "Full Metal Jacket" wieder Teil des öffentlichen Diskurses wurde, reicht die Dokumentation, die daher auch neuere Reflexionen wie "Orange Crush" von R.E.M. enthält. Auch Songs aus den Nullerjahren, darunter Stücke von Country-Stars wie Billy Ray Cyrus und Hank Williams junior, die Parallelen zwischen Irak- und Vietnam-Einsatz aufzeigen, sind enthalten.
"Whoopee! We're all gonna die"
Vielfach wurden auch einfach Songs, die mit dem Krieg nach Aussage ihrer Verfasser rein gar nichts zu tun hatten, kurzerhand von den Soldaten umgedeutet. Die beiden bereits erwähnten Songs von Creedence Clearwater Revival gehören dazu, denen Bandchef John Fogerty bis heute jeglichen Vietnam-Kontext abspricht, aber auch "Sounds Of Silence" von Simon & Garfunkel, Otis Reddings "Sitting On The Dock Of The Bay" oder John Denvers "Leaving On a Jetplane", die den GIs als Projektionsflächen für ihre Sehnsucht nach der Heimat dienten.
Deutlich wird vor allem in der Beschäftigung mit der Musik aus den tatsächlichen Kriegsjahren, dass der Einsatz in Südostasien für die Musiker ein Thema war, das zum Teil in der Öffentlichkeit erhitzt über das Medium Musik debattiert wurde. Während die Studenten in den Universitäten von Kent State und Berkeley lautstark gegen den Krieg und die Wehrpflicht demonstrierten, lieferten Musiker wie Bob Dylan, Pete Seeger, Joan Baez, Donovan oder Tim Hardin den Protest-Soundtrack dazu. Patriotischer motivierte Stars wie Johnnie Wright, Dave Dudley, Bill Floyd und Merle Haggard ("Okie From Muskogee") hielten dagegen.
Nicht fehlen durfte mittendrin natürlich einer der wohl prominentesten Anti-Vietnam-Sänger: Country Joe McDonald. Sein "Feel-Like-I'm-Fixing-To-Die-Rag" wurde eher durch Zufall zur größten Hymne der Kriegsgegner. 1969, beim legendären Woodstock-Konzert wurde der bis dato nur in der Psychedelic-Szene von San Francisco bekannte Songwriter gebeten, eine Umbaupause mit ein paar Songs zu füllen. Kurzerhand stimmte McDonald seinen Gassenhauer an:
"And it's one, two, three: What are we fighting for?
Don't ask me, I don't give a damn, Next stop is Vietnam;
And it's five, six, seven: Open up the pearly gates,
Well there ain't no time to wonder why,
Whoopee! We're all gonna die."
Das Publikum sang begeistert mit, und alles endete mit dem von Zehntausenden Stimmen getragenen "Fuck-Cheer" - imposanter konnte der Protest gegen den Krieg nicht mehr werden.
Für den Protestsänger McDonald, der auch das Vorwort für die Vietnam-Box schrieb, fiel in der Mitte der sechziger Jahre das durch den Zeitgeist bedingte Transzendieren moderner Popmusik in etwas Lautes, Elektrisches und Politisches nicht nur zufällig zusammen mit dem Aufbruch in den Krieg. "Songs können Glaubhaftigkeit, Gelassenheit, Energie erzeugen", schreibt McDonald, heute 68 Jahre alt. "Songs und Musik sind der Soundtrack für unser Leben. Und für die Vietnam-Generation war und ist dieser Soundtrack Rock'n'Roll."
So wichtig war dieser Soundtrack, dass Schallplatten und Abspielgeräte, Gitarren und Harmonicas im Feldlager gehütet und gepflegt wurden wie Heiligtümer. Der Frust über die Sinnlosigkeit des Kriegs, die Angst vor dem Tod, der Wettstreit zwischen Protest und Patriotismus, das Sehnen nach der Liebsten daheim, all das bildeten die so widersprüchlichen wie unterschiedlichen Lieder dieser Ära in bisher unerreichter Intensität ab.