Ein Amerikaner erklärt der Welt den Calypso? Das hätte durchaus als musikalischer Kolonialismus auf afro-karibischern Boden misslingen können. Das Gegenteil ist der Fall.
Robert Mitchum besitzt die musikalische Macht, nur mit ’ einem Gospel („Leaning on the Everlasting Arms“) Angstschau- er zu erzeugen, wie als Reverend Harry Powell in The Nighl of the Hunter (1955). Sein weniger furchterregendes Album „Calypso - is like so ist noch 53 Jahre nach der Erstveröffentlichung mehr als empfehlenswert und bei Bear Family in einer Neuauflage auf Vinyl erschienen.
Mitte der Fünfziger Jahre wird 100 ray Mitchum für zehn Monate nach Port of Spain auf Trinidad geschickt - Rechercheurlaub für zwei Filmrollen: Heaven Knows, Mr. Allison (1957) von John Hus- ton und Fire Down Below (1957) von Robert Parrish. Huston ließ Mitchum als US-Marine Corporal während des Zweiten Weltkriegs mit der Novizin Schwester Angela auf einer einsamen Insel stranden, wo er sich nicht nur um japanische Truppen und seine verbotene Liebe kümmern musste, sondern auch um die National League of Decency, die Vertreter zu den Dreharbeiten schickte, damit auch ja nichts Unchristliches geschehe, wovon sich Mitchum und Co-Star Deborah Kerr zu improvisierten Szenen mit wildem Geknutsche anregen ließen Die Zeit in Port of Spain nutzte Mitchum dazu, dem Calypso zuzuhören, dem klanglichen Schmelztiegel der turbulenten Geschichte Trinidads und Tobagos, mit deren wechselnden kolonialistischen Einflüssen, der Sklaverei, Unterdrückung und Bewohnern unterschiedlichster Ursprünge. Und sein Imitationstalent ließ die Artikulation und Seele des Calypso, der in Amerika durch Harry Belafonte bereits einen Boom erlebte, schnell zu seiner eigenen werden.
Die Songs erzählen Geschichten voll unglücklicher Liebe, sexuellen Mehrdeutigkeiten (und Eindeutigkeiten) und befassen sich mit dem Geschlechterkampf, wie in dem berühmten „From a Logical Point of View“, der allen Männern rät, „better marry a woman uglier than you“. Ursprünglich als „Ueg Woman“ bekannt, führte der Song Jimmy Soul un- ter dem Titel „If You Wanna Be Happy“ zum Riesenerfolg. Auch die nichtsnutzige Jugend, die nachts tanzt und den ganzen Tag schläft und durch Rock’n’Roll zu einer Horde Delinquenten wird, muss Mitchum als verantwortungsvolle Stimme des Calypso ansprechen, wie auch Klassengrenzen und die politische Geschichte thematisiert werden, wie in „Jean and Dinah“, das von den vielen Prostituierten handelt, die nach dem Abzug des Amerikanischen Militärstützpunktes arbeitslos zurückblieben.
Das musikalische Können Mitchums, das hier in den perkussio- nistischen Reichtum der Karibik und die unzähligen verschmelzenden Rhythmen eingebunden ist, hat Sinatra zu der Aussage hingerissen: „Für jemanden, der kein professioneller Musiker ist, weiß er mehr über Bach und Brubeck, als jeder andere den ich kenne.“ Worauf Mitchum lapidar erwiderte: „Das zeigt uns nur, wie viel Sinatra über Musik weiß.“ BRIGITTE AUER