Sound Surprisen
Luther Perkins, Johnny Cashs Gitarrist, war eher für seine technischen Beschränkungen bekannt als für eine wie auch immer geartete Virtuosität. Gleichzeitig war er der Beweis dafür, dass auch geschickt eingesetzte Beschränkungen stilbildend sein können — Perkins ist einer der wenigen Gitarristen, deren Spiel und deren Sound man umgehend erkennt. Ein Beweis dafür ist sein Solo in «Folsom Prison Blues», «one of the most memorable yet simple guitar solos in country music». Dabei habe er sich selber übertroffen und auf den drei oberen Saiten gespielt, erfahren wir weiter. Wo? Im Booklet von «Great Guitars at Sun». Ist da Ironie im Spiel? Nein, das ist der ernsthafte Versuch, Songs aus der klassischen Periode von Sun Records mit einem ande-ren Fokus zu hören: Nicht die Sänger, nicht die Stars stehen hier im Mittelpunkt — auf zwei Compilations, «Great Guitars at Sun» und «Great Drums at Sun», feiert Bear Family Records die Gitarristen und Schlagzeuger, die dem frühen Rock'n'Roll seinen Sound und Drive verliehen. Auf «Great Guitars at Sun» darf Scotty Moore nicht fehlen, der Gitarrist auf Elvis` frühen (=, besten) Aufnahmen. Während Elvis auf der akustischen Gitarre schrammelte, legte Moore mit seinen elektrischen und elektrisierenden Figuren eine dynamische Basis und sorgte mit kurzen Soli für Abwechslung. So etwa in «Mystery Train», das hier gleich nach der etwas älteren Version von Linie Junior kommt — was den direkten Vergleich zwischen den bei-den Gitarristen Floyd Murphy und Scotty Moore erlaubt. Grosse Klasse ist auch das weniger bekannte «Cindy Lou», das vom Kontrast zwischen der weichen Stimme Penners und der aggressiv schneidenden und klirrenden Gitarre Don Gilillands lebt. Hmm, das klingt nun doch reichlich nerdy. Ich gebe zu, dass ich «Great Drums at Sun» und «Great Guitars at Sun» zunächst für eine clevere Art hielt, den nicht unerschöpflichen und schon tausendfach aufgear-beiteten Sun-Records-Katalog auf thematischen Compi-lations neu zu vermarkten und dabei, bedingt durch den Fokus, erfreulicherweise auch weniger bekannte, weniger kanonisierte Songs und auch den einen oder anderen Al-ternate Take auszugraben. Beim Hören der CDs und vor allem beim Mitlesen der Booklets, die auf jeden Song, jeden Musiker, jedes Solo, jeden Beat eingehen, ertappte ich mich schon bald dabei, diese zum Teil sehr bekannten Klassiker tatsächlich neu zu hören. Das ist nicht selbstverständlich; das Konzept der Band aus gleichberechtigten Mitgliedern gab es noch nicht, und ver-geblich sucht man bei den Mit- und Begleitmusikern der Stars wie Elvis, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison, Johnny Cash, Rufus Thomas jegliche Form von Egozentrik oder Selbstinszenierung. Moore und Perkins, aber auch Drummer wie WS Holland, J.M. van Eaton oder Johnny Bernero waren Dienstleister für den Sänger und den Produ-zenten Sam Phillips. Aber ohne die Brillanz und Prägnanz dieser Musiker kann man sich diese Aufnahmen kaum vor-stellen. Sam Phillips wusste genau, was er machte, wenn er Begleitmusiker anheuerte, Sessionbands zusammenstellte und phasenweise auch seine eigene Hausband hatte. «Great Guitars at Sun» und «Great Drums at Sun» werfen einen nicht wirklich neuen, aber erfrischend anderen Blick auf die Geburtsjahre des Rock'n'Roll.
Christian Gasser