Presse - Woody Guthrie - The Tribute Concerts - Tagesspiegel

 SUSANNE KIPPENBERGER

„This Land Is Your Land" war die Hymne bei Obamas Inauguration. Woody Guthrie ist eine Folklegende der USA. Vor 50 Jahren starb er an der Erbkrankheit Chorea Huntington. Seine Tochter Nora Guthrie erzählt von einem bewegten Leben.

Mein Vater hatte nie geplant, Folkmusiker zu werden. Er wuchs in Oklahoma auf, noch als Teenager hat er das erste Malgeheiratet, wurde gleich Vater, das war damals halt so in der Kleinstadt. In Armut lebten sie während der Großen Depression in der Dust B owl von Texas, wo Sandstürme zu einer verheerenden Dürre führten. Er hatte das Gefiihl, das war nicht sein Leben, er musste weg. Vor der Musik kam die bildende Kunst; als er umherzog, hat er Ladenschilder gemalt, fiir einen Schlafplatz und ein Abendessen, das Liederschreiben und Singen lief nebenher. Auch später hat er immer gezeichnet, lustige Sachen. Er hatte ja was von einem Komiker. Selbst seine D.tBowlBalladen haben oft Witz. Wenn er zum Beispiel über den Pfarrer singt, der das Ende der Welt verkündet, um anschließend eine Kollekte einzusammeln. Woodys Humor war stark von dem Entertainer Will Rogers geprägt: kurze Scherze über schreckliche Situationen, um harte Zeiten zu überstehen. Das ist heute in den USA genauso, die Komiker machen sich über das ganze Elend lustig, damit wir nachts schlafen können. Woody ist berühmt für seine Protestsongs, aber sein Protest kam aus dem. Bauch, der war erst mal gar nicht ideologisch. 

Bis er in den 30er Jahren nach Los Angeles zog und dort auf die sehr aktive kommunistische Partei stieß und die Gewerkschaften. Sie gaben ihm ein Mikrofon, verschafften ihm große Auftritte bei Demos und Versammlungen und eine Zeitungskolumne, im „Daily Worker". Das hat ihn selber intellektuell weitergebracht. Und er fühlte sich geliebt. Erst als Woody 1940 nach New York kam, sagte er: Ich glaube, ich bin Sänger. Dort traf er gleich in der ersten Woche Leute aus der Folkmusikszene, die ihn unterstützten, allen voran Pete Seeger. Innerhalb von zwei Wochen hatte er den Song geschrieben, der sein größter Hit werden sollte, nahm ein paar Monate später eine Platte auf, sang im Radio. Die starke Gewerkschaftsbewegung war extrem wichtig für ihn, union wurde sein Lieblingswort, das hat er dauernd und für alles mögliche benutzt, auch für die Liebe. Ihm gefiel die Vorstellung, sich zusammenzutun und zu vereinen, in der Musik, der Kunst, der Familie. Die Grenzen aufzuheben zwischen Glaubensrichtungen, Hautfarben, Geschlechtern. „This Land Is Your Land" war erstmal nur einer von vielen Songs. Der Text ist mehr Tagebucheintrag als Poesie. Woody war ja tatsächlich durchs ganze Land gefahren, hatte gesehen, worüber er jetzt schrieb und zwar, wie alle Songs, erstmal im Kopf. Dann setzte er sich zum Notieren hin, arbeitete danach nicht weiter daran.  

Beim Schreiben hatte er meist schon eine einfache Melodie im Kopf, einen Rhythmus, fast immer den gleichen, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Woody konnte ja nicht mal Noten lesen, sagte gern: Drei Akkorde und die Wahrheit, das ist alles, was man braucht. In diesem Fall kam die Melodie von einem Song der Carter Family, einer CountryBand, die er sehr mochte. Woody nahm oft Musik von anderen auf, die Carter Family machte es selber so, ihre Songs sind meist alte Melodien, manche gehen auf schottische Balladen zurück. Das war die FolkTradition: Musiker griffen etwas auf, fügten was hinzu, entwickelten so neue Songs. „This Land Is Your Land" hat mein Vater selbst gar nicht oft gesungen. Er schrieb Songs immer a. dem Augenblick heraus, sang sie ein, zwei Mal, vielleicht noch im Radio, dann schrieb er schon das nächste Lied.

Als ich zu Beginn der 90er Jahre anfing, die Kisten mit seinem Nachlass zu durchforsten und zu ordnen, habe ich insgesamt über 3000 Lieder entdeckt, von denen erst zehn Prozent veröffentlicht waren. Er arbeitete wie ein Journalist, der jeden Tag eine neue Geschichte schreibt. Oderzwei. Und wenn das Notizbuch voll war, nahm er die Songs bei einem Freund auf, manchmal 70 hintereinander, einfach um sie festzuhalten. Warum „This Land Is Your Land" so populär wurde, dafür gibt es eine einfache Erklärung, und die heißt Pete Seeger. Pete mochte den Song. Mit seiner Gruppe The Weavers, der ersten erfolgreichen Folkband in Amerika, sang er ihn immer als Zugabe. Und als die Musikerin den 50ern auf der Schwarzen Liste der Kommunistenjäger landeten, waren die einzigen Jobs, die sie kriegen konnten, im Sommerferienlager und an Colleges. Mit den Kids hat Pete „This Land" gesungen. Die Lehrer mochten es ebenfalls, weil es einfach war und den Kindern gefiel, also wurde es Teil des Schulkanons. 

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NR. 23 252 / SONNTAG, 1. OKTOBER 2017

 

 

 

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