Wer war/ist Geier Sturzflug ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr
Geier Sturzflug
Friedel/Friedl 'f.g.' Geratsch (voc, g)
Deff Ballin (key)
Werner Borowski (voc, b)
Klaus Fiehe (voc, sax)
Uwe Kellerhoff (voc, dr)
Michael Volkmann (voc,g)
Die Frage nach den wohl wichtigsten musikalischen Einflüssen beantworteten Geier Sturzflug mit den Namen Bob Marley und Ernst Mosch. Eine Antwort, die wahr- scheinlich nicht so ganz ernst gemeint war. Aber tatsächlich produzierte die Bo- chumer Gruppe eine höchst eigenwillige Mischung aus Rock, Reggae und Ska, die die "unbestechlichen Weltverbesserer" (Geratsch) mit Politpop-Texten krönten. Angefangen hatte Geratsch im Alter von 14 Jahren. Jemand brachte ihm zwei Akkordgriffe auf der Gitarre bei. "Das sind die Akkorde, mit denen ich heute immer noch spiele" (Geratsch). Seine erste richtige Band 1975 hieß Fiedel Friedels Feierabendshow. 1977 gründete er mit Reinhard Baierle das Straßenmusiker- Duo Dicke Lippe. Die Beiden schrieben bereits in diesem Jahr den Song Brutto- sozialprodukt, der dann 1983 zu einem Riesen-Erfolg wurde.
1979 erschien allerdings erstmal mit 'Jagdfieber' das einzige Album von Dicke Lippe, auf dem die erste Version des Songs – geschrieben "Brutto-Sozial-Produkt" – enthalten war. Diese Ur-Version des Titels war allerdings bereits vorher auf einer Compilation der 'taz' enthalten und avancierte zu einem kleinen Szenehit. Danach folgte die Gruppe mit dem sperrigen Namen Schotter Blau Gebündelt, bei der Bassist Borowski und Schlagzeuger Kellerhoff mit von der Partie waren, die sich allerdings bald wieder auflöste, weil "ich zur gleichen Zeit mit Dicke Lippe unterwegs war und beides zusammen aus Termingründen nicht ging. Später hatte ich Geier Sturzflug ins Leben gerufen, bin aber kurz darauf erst mal ausgestiegen, da es mit Dicke Lippe noch eine Tournee gab und ich noch eine weitere Band mit Namen Transistors hatte. Geier Sturz- flug hatten dann eine Zeit ohne mich gespielt, laufend neue Leute ausprobiert und irgendwann 40| als Trio einige Auftritte gemacht.
Ende 1980 hatte ich mich entschlossen wieder mitzuma- chen" (Geratsch). Ursprünglich bildeten Ge- ratsch, Volkmann, Borowski und Kellerhoff die Besetzung, erst später kamen noch Ballin (ex- Tibet) und Fiehe (The Bollock Brothers) hinzu. Das Geier Sturzflug-Debüt-Album 'Runterge- kommen' hatte die Band noch in Quartett-Be- setzung im August 1981 innerhalb von sechs Tagen für das TRIKONT-Label eingespielt. Darauf präsentierten sie sich als "chaotisch-sonnige Rockband, die nahezu jedem Publikum das Tan- zen und Singen herauszulocken vermochte" (Pressetext). Die Texte waren "mal ironisch, mal ernst, mal scharf: die Welt, die wir kannten, die 'Scene', der wir ent- stammten, die Abneigung gegen vordergründige Zufriedenheit, Drogenkonsum, Wochenendvergnügen usw." (Selbstaus- kunft). Ansonsten war es ein "hübsches Plättchen, leicht angewellt, mit reichlich Ska, der sehr urig und ungelackt klang und in seinen besten Phasen mit der Frische der einstigen Specials glatt mithalten konnte. Wo es schlicht postpunkig zuging, war es nicht so stark" ('MusikExpress'). Trotzdem stiegen Geier Sturzflug zum Geheimtip der lokalen Ruhrgebiets-Szene auf. Die Band blieb ihrem musikalischen Konzept grundsätzlich treu, als sie im Frühjahr 1983 – jetzt als Sextett, plus Johannes Stappert (Live- Mix) und Carlo von Steinfurt (Thomas Passmann-Engel)–,für die Aufnahmen zum Album 'Heiße Zeiten' ins Studio gingen.
Die LP, unter der Regie des deutschen Popsängers Peter Kent entstanden, erschien bei der Industriefirma ARIOLA, die bei der NDW-Euphorie nicht abseits stehen wollte. Die Unterschrift bei der Industrie führte zwangsläufig zu Diskussionen über die Glaubwürdigkeit der Gruppe innerhalb der al- ternativen Szene. "Wir haben viel umsonst, viel für Unkosten und auch unter schlechten Bedingungen gespielt. Alternativ sein und Kommer- zialität müssen sich wirklich nicht beißen" (Fiehe). Das Album wurde im deutschsprachigen Raum zu einem Top 15-Erfolg, denn "die Songs von Geier Sturzflug waren nicht nur originell, textlich anspruchsvoll, musi- kalisch attraktiv, farbig und abwechslungsreich, sondern allesamt hitverdächtig" ('MusikExpress'). Gleich die erste ausge- koppelte Single Bruttosozialprodukt platzierte sich in der ersten Hälfte von 1983 auf Rang Eins der Bestseller-Listen im deutschsprachigen Raum. Im selben Jahr wurde das Lied in Frankreich vom Sänger Nanard als Produit National Brut (P.N.B.) gecovert – übigens produziert vom Belgier Plastic Bertrand (Roger Allen François Jouret). Auch die zweite Geier Sturzflug-Single Besuchen Sie Europa (Solange es noch steht), benannt nach einem Werbeslogan eines US-Reisebüros, war ähnlich erfolgreich.
Im Herbst waren Geier Sturzflug zweimal innerhalb kurzer Zeit in der 'ZDF- Hitparade' die Sieger. Beim 'Hitparaden'-Debüt gab es hinter den Kulissen Ärger nachdem sie Bruttosozialprodukt in der veränderten Bühnenfassung ("...die Müllabfuhr holt sich einen runter...") dargeboten hatten. Nach einer Auswertung des 42| Branchenblattes 'Musikmarkt' war Bruttosozialprodukt die erfolgreichste Single des Jahres 1983 – vor Nena mit 99 Luft- ballons und Codo von Tauchen/Prokopetz als D.Ö.F.. Trotz dieses überraschenden Erfolges erfüllten Geier Sturzflug ihre Verträge mit Jugendzentren, Gewerkschaften und Veranstaltern, wie sie vorher ausgehandelt waren – teilweise unentgeltlich oder nur gegen Spesen. So z.B. bei der großen Friedensdemo am 22. Oktober in Bonn oder während der SDAJ-Friedenswoche in München. 1984 begann allerdings der kommerzielle Niedergang (bzw. der Sturzflug) der Gruppe. Weder die Singles Einsamkeit, Alle Amis singen Olala und Pure Lust am Leben noch das dazugehörige Album 'Dreimal täglich' konnten an die großen Erfolge von vorher anknüpfen. Die NDW verebbte unwiderruflich, und an Geier Sturzflug verebbte das Interesse ebenfalls. 1986 wurde die Band aufgelöst. "Wir waren einfach erst mal fertig von dem ganzen Stress." (Geratsch). Er wollte "einen längeren Urlaub antreten" (Geratsch). Stattdessen versuchte er sich an einer Solo-Karriere. Seine erste Single hieß Zurück in die Nacht (1986), und vier Jahre später folgte eine neue Version von Bruttosozialprodukt.
Außerdem schrieb Geratsch Texte für Juliane Werding, für Die Strandjungs und für die ARD-Jugendsendung 'Moskito'. 1996 kamen immer wieder Anfragen nach Auftritten der Band Geier Sturzflug. Also rief Geratsch einen Teil der alten Band wieder zusammen und absolvierte einige Auftritte. "Ich habe aber schnell gemerkt, das war der größte Fehler meines Lebens. Wir hatten nach kurzer Zeit die gleichen Probleme wie früher." (Geratsch). Ab 1997 kam es zu Fernsehauftritten und ein Jahr später schrumpften Geier Sturzflug zum Duo Garetsch und von Steinfurt. 1999 folgte die Veröffentlichung des Albums 'Die Geier fliegen tief', auf dem es Remakes und Karaoke-Versionen der be- kanntesten Geier Sturzflug-Hits zu hören gab. Seitdem ist das Duo auf Parties zu erleben, wo ihre Show samt den alten Hits nach wie vor begeistert. Eine der Hochburgen der heutigen Geier Sturzflug ist der "Ballermann" auf Mallorca. Ab 2008 gehörte der Song Bruttosozialprodukt auch im Musical 'Ich will Spaß' in Essen zum Programm. Saxophonist Fiehe arbeitet heute als herausragender Radio-DJ bei '1Live' (WDR). Er moderiert dort u.a. eine der letzten verbliebenen Autoren-Musiksendungen in der vom Formatradio zugekleisterten langweiligen deutschen Radiolandschaft...
Burghard Rausch
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Aus grauer Städte Mauern - Die Neue Deutsche Welle (NDW)
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