Wer war/ist Kraan ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr
Kraan
Zu einer Gruppe von Free-Jazz-Musikern gehörten Ende der 60er/Anfang der 70er auch die drei Ulmer Peter Wolbrandt, sein Bruder Jan Fride und Hellmut Hattler. Im Zuge der Annäherung der Jazz- und Rock-Szenen gründeten sie 1970 mit dem soul-orientierten Saxofonisten Alto Pappert das Hardrock-Quartett Inzest. Gemeinsame Konzerte waren nur sporadisch möglich, weil Wolbrandt und Pappert im damaligen West- Berlin ein Grafikstudium bzw. ein Fotostudium belegt hatten. Fride und Hattler zogen zeitweise auch nach Berlin, aber bereits nach einem halben Jahr stieg Bassist Hattler wieder aus, um bei der weitaus professio- nelleren Band Erna Schmidt einzusteigen. Ende 1971 beschlossen die vier Musiker, erneut professionell Musik zu machen – unter dem Namen Kraan. "Jahrelang benutzten wir deutungsträchtige Gruppennamen. Nun sollte es ein Name sein, der nichts bedeutet – ein Bandname, der vorne hart anfängt und hinten weich aufhört" (HATTLER). Die Gruppe bezog mit der Band Erna Schmidt das Gut Wintrup am Rande des Teutoburger Waldes. Nachdem sich Erna Schmidt, trotz Live-Erfolgen und einem Vertrag beim OHR-Label aufgelöst hatten, waren Kraan alleinige Bewohner des Anwesens, das vom Mäzen Graf Metternich mietfrei zur Verfügung gestellt wurde. "Wir lebten die Revolution! Kein Privateigentum, keine Privatsphäre und keine Hierarchien – alles kollektiv.
Es war der Wahnsinn. Das erste selbstverwaltete Irrenhaus Deutschlands" (BAND INTERVIEW). 60 Im Frühjahr 1972 nahm das Quartett in "der verblüffend kurzen Zeit von zwei Tagen die erste Langspielplatte auf" (ROCK IN DEUTSCHLAND). "Das war praktisch ein Mitschnitt der Musik, die wir auch live spielten" (HATTLER). Die Musik "begeisterte durch Spielfreude und ein atmosphärisch dich- tes Klangspektakel, das herkömmlichen Hörgewohnheiten zwar einiges abverlangte, aber auch frisch und kraftvoll klang." (ZITTY). Auch beim zweiten Album 'Wintrup' (1973) zeigte sich, "daß sie keinen Wert auf üppige lyrische Ausgestaltung leg- ten" (ROCK IN DEUTSCHLAND). Die Platte war "randvoll mit perfekt und diszipliniert gespielten, interessanten Themen. Dabei bereiteten vor allem die Saxkünste von Herrn Pappert besondere Freude" (BABYBLAUE SEITEN). Es folgte eine erste Tournee durch Deutschland und Konzerte in der Schweiz und den Niederlanden. Sie absolvierten am 29. 11. 1973 – neben Randy Pie, Karthago, Guru Guru und Tangerine Dream – einen gefeierten Gig bei dem Deutschrock-Festival '2x RIAS in der Deutschlandhalle' (Eintrittspreis 8,00 DM).
Der Auftritt von Kraan war so gelungen, daß "ihnen der Abend gehörte, denn sie hatten alles: eine aufregende Versiertheit an ihren Instrumenten, ein enormes Feeling für Arrangements, Improvisations- übergänge, Effekt-Timing und eine ungemein sympathische Bühnenpräsenz" (BARRY GRAVES – RIAS BERLIN). 61 Im Früh-Herbst '74 erschien dann mit 'Andy Nogger' das erste Album, das von Conny Planck in dessem Studio produziert worden war. Die "Platte des Jahres" (MUSIK EXPRESS) war ein "ange- nehmes Album, aber ohne Höhepunkte" (DISC). Es folgte eine Deutschland- Tournee, bei der im Oktober das Konzert im Berliner Quartier Latin mitgeschnitten und Anfang 1974 als Doppel-Album veröffentlicht wurde. Die LP bestätigte, daß Kraan Musik produzierte, die "in der Körpermitte wirkte, wenn sie den Kopf passiert hatte" (MELODY MAKER). 1975 absolvierten Kraan über 100 Konzerte und spielten auch auf dem legendären 'Roskilde Festival' in Dänemark. Seit dem Mai war Ingo Bischof (key, p, syn, org, ex-Karthago) als fünftes Kraan-Mitglied mit dabei. Im selben Jahr erschien mit 'Let It Out' das fünfte Album – "sicher kein schlechtes Album, aber es fehlte doch das Übersprudelnde, das die Vorgänger aus- zeichnete.
Die Musik war eindeutig kraanesk, aber insgesamt in einer zu entspannten Weise" (BABYBLAUE SEITEN). 62 Die 76er Frühjahrstournee fand allerdings schon wieder ohne Keyboarder Bischof statt; das Quartett ab- solvierte in England als Vorgruppe für Nektar ein "brillantes Konzert" (MUSIC WEEK) und trat in der BBC 2- Sendung 'The Old Grey Whistle Test' auf. Im selben Jahr war Bassist Hattler, gemeinsam mit Dieter Moebius (syn, g, perc, Cluster) († 2015), dem Niederländer Okko Becker (syn, key, perc, voc, g), Asmus Tietchens (syn, key), Conny Plank (syn, g, voc) und dem Kraan-Kollegen Pappert Teil vom "One-Off-Super-Group-Project" (SOUNDS UK) namens Liliental. Im Sommer '76 verließ Saxofonist Pappert Kraan und verwirklichte später Solo-Projekte. Kraan war zwischen- zeitlich mit dem zurückgekehrten Ingo Bischof auf Deutschland-Tournee. Das 77er Kraan-Album 'Wiederhören' brachte zwar "enorm durchkonstruierte Musik" (MUSIK EXPRESS), aber "keine Zukunft. Die Spielfreude, unersetzbarer Motor aller Musiker, war dahin" (ROCK IN DEUTSCHLAND). Pfingsten 1977 gaben Kraan ihr – vorerst – letztes Konzert. Im selben Jahr brachte Hattler sein Solo-Debüt 'Bassball' heraus. Als Gäste spielten u.a. Christoph 'Nops' Noppeney (viola, ex-Hoelderlin), Curt Cress (dr,ex-Pass- port), und die Kraan-Kollegen Woldbrandt, Fride-Woldbrandt und Bischof. Daß deshalb so einiges auf 'Bassball' deutlich nach Kraan klang, war wenig überraschend...
KRAUT! ist ein feiner Krautrock-Querschnitt in vier Aus- gaben, nach Regionen sortiert – Norden, Mitte, Süden und Berlin, mit den größten Hits, viel längst vergessener Musik und den wichtigsten Songs.
Burghard Rausch im Juni 2020
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Various - Kraut! BCD17623
Teil 3 - KRAUT! - Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979
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