Wer war/ist Gisela May ? - CDs, Vinyl LPs, DVD und mehr
Gisela May gilt seit Jahrzehnten als die bekannteste und kompetenteste Brecht-Interpretin. Die 'First Lady des politischen Liedes' hat man sie genannt. Jetzt ist die Schauspielerin und Sängerin Gisela May tot. Sie starb im Alter von 92 Jahren am frühen Morgen des 2. Dezember 2016 in Berlin.
Gisela May - seit langem einfach 'die May', ein Prädikat, das sie sich hart erarbeitet hat wie ihre Weltkarriere. Einer der ersten, der schlicht und einfach von der May sprach, wenn es um diese außergewöhnliche Künstlerin ging, war der Komponist Paul Dessau, der darauf bestand: "Es heißt nicht GISELA MAY – es heißt DIE MAY! Das ist uns ein Begriff, der Begriff des politischen Liedes und Chansons, wie er für uns einmalig ist."
Man hat sie weltweit mit Auszeichnungen und Preisen überhäuft, nicht nur für Hanns Eisler ist sie die "bedeutendste Chansonette des deutschen Sprachraums".
Wer ist diese Frau? Ich erinnere mich, wie ich ihr einst begegnete, erst beim Anhören ihrer Schallplattenaufnahmen, später auf der Bühne, dann endlich von Angesicht zu Angesicht. Ein Erlebnis, eins der großen, unvergeßlichen, war es immer.
Sie ist, so scheint es, der Standard. Sie ist die Norm. Sie macht es allen andern schwer, es ihr gleich zu tun, nach ihr Brechts Lieder zu singen, jene Songs, die längst zu ihren geworden sind. Wer diese Aufnahmen hört, die zu Recht vielgerühmten und hochgelobten, der mag meinen, zu Gisela Mays Interpretation gebe es keine Alternative. Das ginge nur so und nicht anders.
Da ist etwas dran. Und das kam so: Man war mit der Musik der 'Dreigroschenoper' von Jugend an vertraut, hatte die Lenya und den Busch im Ohr, wenn von Brecht und Weill die Rede war. Die alten Schellacks mit Lenyas Seeräuber-Jenny und Kurt Gerrons Moritatengesang galten als Geheimtip, das Krächz-Geräusch, das das Koffergrammophon gratis dazu lieferte, hörte man sich weg. Die Aufnahmen waren zwar uralt, hatten schon ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel, und doch: diese Musik war neu. Sie übte auf eine Generation, die noch mit Herms Niels 'Erika'-Klängen und anderen Vierviertel-Bummstara-Märschen aus dem Volksempfänger zugedröhnt worden war, einen fremdartigen, unwiderstehlichen Reiz aus - wie der Jazz, der aus Amerika zu uns nach Westdeutschland herüberwehte und sich bald in den Kellerkneipen und Konzerthallen etablierte. Die Dreigroschenoper, das war die Lenya, bei der – ob sie nun Brecht, Kaiser oder Mehring sang – immer und vor allem der ganze Weill mitschwang, auch der amerikanische, für den sie, inzwischen zur Lenya geworden, wie ein Fels in der Brandung stand. Neugierig geworden, griff man nach den Texten, studierte die 'Versuche'. Später pilgerte man, so oft man konnte, ins Ost-Berliner BE, um an authentischer Stätte Brecht pur zu studieren: Wolf Kaisers Mackie Messer, Ekkehard Schalls Arturo Ui und Helene Weigels Mutter Courage.
In den Fünfzigern hatte ich die Lenya, inzwischen zur lebenden Legende geworden, im New Yorker Theater de Lys als Spelunken-Jenny auf der Bühne erlebt, sie spielte sich und ihre Rolle jung, und das Publikum lag ihr zu Füßen. Als man das etwas heruntergekommene, herrliche alte Off-Theater im Village verließ, den Kopf voller Brecht-Weill-Songs, glaubte man sich mitten in Soho.
Zurück in Deutschland hörte ich dann Mitte der sechziger Jahre die guten alten Lieder zum erstenmal mit dieser anderen Stimme: Gisela May. Wolfgang Neuss, der befreundete Kabarettkollege, hatte mir von ihr erzählt, auch von dem Eklat, den es in West-Berlin um einen ihrer Auftritte gegeben hatte. Es waren bewegte Zeiten. Die Studenten probten den ersten Aufstand und protestierten gegen den Vietnamkrieg, im Kabarett gab man sich unbotmäßig und rebellisch. Durch die Künstlerschar ging ein tiefer Riß. Viele Schauspieler äußerten beherzt ihre Meinung und nahmen Stellung zu politisch-gesellschaftlichen Tagesfragen, andere entdeckten ihr Hasenherz und nahmen lieber Reißaus und ein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, politisch Flagge zu zeigen. Als die Schauspielerin, Chansonsängerin und Kabarettistin Hanne Wieder 1965 erfuhr, daß auf einer polit-satirischen Silvesterveranstaltung in West-Berlin neben ihr auch DDR-Kollegin Gisela May auftreten sollte, zog sie ihre Teilnahme zurück. Die Springer-Presse, die damals, mit 'Bild' im Bug, propagandistisch im Gewässer des Kalten Krieges schipperte, frohlockte und pries die Wieder als wahre Patriotin. Kabarettist Wolfgang Neuss, unser aller Kabarettkumpel, hielt dagegen und sprach fortan nur noch von Hanne Niewieder. Dann drückte er mir diese Langspielplatte mit Brecht/Weills 'Happy End'-, 'Dreigroschenoper'- und 'Mahagonny'-Songs in die Hand: "Hör dir das an. Die hat was!"
Auszug aus BCD16064 - Gisela May Die May (8CD/1DVD)
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