Vera Schneidenbach Meine Welt ist die Musik (CD)

"Meine Welt ist die Musik", lacht Vera Schneidenbach, wenn sie nach dem Wichtigsten in ihrem Leben gefragt wird. In der Tat, die Sängerin, die in den Zeiten der ehemaligen DDR zu den wichtigsten ‘Export-Artikeln in Sachen Musik’ gehörte, hat ihr Leben mit Haut und Haaren bedingungslos der ‘Weltsprache Musik’ verschrieben.

Vera Olga Iris Schneidenbach von Jascheroff, wie sie eigentlich heisst, ist die Nachfahrin einer Romanze am Zarenhof von St. Petersburg zwischen dem russischen Grossfürsten Nikolai von Jascheroff und der Tochter des sächsischen Gesandten Schneidenbach. Im Sternzeichen des Löwen erblickt sie an einem 22. August im Ostseebad Warnemünde das Licht der Welt. Sehr blond und sehr blauäugig wächst sie am Ostseestrand als zweitjüngstes von vier Geschwistern auf. Ihre Brüder Peter, Alexander und Nikolaus beneiden sie nicht, dass sie schon in früher Kindheit musische Talente entwickelt: Während Vera Ballett-, Klavier- und Gesangsunterricht bekommt, tollen die Jungen lieber draussen herum. Ihre ersten Erfolge kann Vera Schneidenbach schon als Kind in kleinen Rollen am Rostocker Theater feiern.

Nach der Schule absolviert Vera eine Lehre als technische Zeichnerin. Später studiert sie an der Fachhochschule für Flugzeugbau in Dresden. Schon zu dieser Zeit hat sie erste Erfolge als Kapellensängerin mit der Heinz-Keller-Band in Dresden und Leipzig. Dass ihr neben der Ausbildung und ihrem Lieblings-Hobby Musik noch Zeit für ein weiteres Hobby bleibt, ist das Ergebnis einer sehr guten Zeiteinteilung; Vera Schneidenbach ist leidenschaftliche Segelfliegerin über den Dresdener Elbwiesen.

Aus ihrem Technikerdasein in Leipzig steigt sie aus, als die Heinz-Keller-Band bei einem Gastspiel in Budapest händeringend eine neue Sängerin sucht, weil die mitgereiste Künstlerin die Erwartungen nicht erfüllte. Ehe Vera "Ja, aber, ich kann doch nicht so einfach weg", sagen kann, sitzt sie schon im Flieger in die ungarische Hauptstadt.

Dass aus diesem Flug eine dreijährige Tournéetätigkeit werden sollte, ahnt sie nicht. Nach Budapest stehen Prag, Bukarest, Mamaia, Sofia und Varna auf dem Programm. In Bukarest wird ihr auch eine kleine Filmrolle angeboten: In dem Streifen ‘Die sechste Runde’ spielt sie eine Barsängerin, die gleichzeitig die Geliebte des Nazi-Spionagechefs ist, und singt für die Kinobesucher den Zarah-Leander-Erfolg Ich weiss, es wird einmal ein Wunder gescheh'n.

Danach beginnt sie das Studium der Unterhaltungskunst in Berlin und beendet es 1967 mit Bestnoten. Daraufhin wird sie in das DDR-Fernsehensemble aufgenommen, und ihre Karriere als Solistin beginnt.

Eine ganz andere Karriere macht Vera Schneidenbach in der 60er Jahren: Die blauäugige Blondine ziert mehrfach die Titelbilder verschiedener Illustrierten. Besonders die Pin-Up -Fotos sind bei den Soldaten der Nationalen Volksarmee so beliebt, dass sie die Innenwände ihrer Spinde damit schmücken. "Ihre Fotos waren für uns das, was Marilyn Monroe oder Jane Russell für die Amerikaner waren", erinnert sich der Entertainer und Moderator Bernd Walter (Ein Kessel Buntes, NDR-Radio-Show ‘Hitskopf’). Er schätzt, dass Vera-Fotos 100.000fach verkauft worden sind, teilweise, wegen der grossen Nachfrage, sogar unter der Ladentheke.

Als Sängerin entwickelt sich Vera Schneidenbach zum ‘Exportartikel Nummer 1 der DDR’. Ihre Tournéen führen sie in insgesamt 31 Länder der Welt, davon allein 18 Mal in die damalige Sowjetunion in den Jahren zwischen 1970 und 1988. Vera Schneidenbach ist gerade 30 Jahre als, als sie zum ersten Mal das UDSSR-Wagnis unternimmt, das ihr einen Riesenerfolg bescheren sollte. Die dortigen Zuhörer sind begeistert: Zusammen mit der Reinhard-Stockmann-Band aus Dresden singt sie in den Konzertsälen vor bis zu 8 000 Besuchern.

1970 reist sie auch nach Vietnam. Mit ihren Konzerten spricht sie den Soldaten ebenso Mut zu, wie es amerikanische Stars wie Marilyn Monroe jenseits der Frontlinie tun. Im selben Jahr tritt sie auch in China auf.

Nach einer weiteren UdSSR-Tournée sprudelt der musikalische Blondschopf vor Begeisterung: "Ich bin vollgestopft mit unvergesslichen Erinnerungen. Drei Monate UdSSR, allein 150 000 Zuschauer und Zuhörer in Moskau. Wir waren insgesamt 39 Solisten und Gruppen. Viele wechselten, ich blieb das volle Vierteljahr dabei. Ich bin begeistert."

Stolz päsentiert Vera Schneidenbach im Freundeskreis auch ihre erste Platte, eine nur in der UdSSR veröffentlichte EP mit vier deutschen Liedern. Eine später in der UDSSR veröffentlichte Langspielplatte geht 12 Millionen mal über die Ladentheken.

Im Nationaltheater der kubanischen Hauptstadt Havanna tritt sie 1972 zum ersten Mal auf. Drei weitere Gastspielreisen werden bis 1985 folgen. Allen Gerüchten zum Trotz: Staatschef Fidel Castro war in Kuba nicht unter ihren Zuhörern. Ihn wird sie erst später treffen: Im Berliner Schloß Niederschönhausen, wo sie sich aus Spaß auf ein Wettkegeln mit dem kubanischen Regenten einlässt...und gewinnt.

Selbstverständlich ist Vera Schneidenbach zwischendurch auch immer wieder im Fernsehen der DDR zu sehen und im Rundfunk zu hören. In über 100 TV-Produktionen wie ‘Alte Liebe rostet nicht’, ‘Da liegt Musike drin’, ‘Klock 8 achtern Strom’ oder auch ‘Mit Lutz und Liebe’ ist sie dabei.

1976 führen Gastspiele die Sängerin erstmals in den Orient. Sie tritt im Irak, in Syrien, im Jemen, im Iran, in Kuwait und in Ägypten auf. 1980 stehen dann Aethiopien, Mozambique, Angola und der Kongo auf ihrem Tournéeplan.

1986 und 1987 steht sie in der Mongolei auf der Bühne. Sie gewinnt 1987 beim Festival der Freundschaft, in der dortigen Hauptstadt Ulan Bator, das 15 Jahre lang ein Treffpunkt für Schlagersänger aus den Ostblockstaaten war, den 3. Preis.

1991, Vera ist gerade von einer beruflichen Orient-Kreuzfahrt zurück, bekommt sie über die Deutsche Künstleragentur und das Auswärtige Amt erneut eine Einladung in die Mongolei. Innerhalb von zwei Tagen studiert sie ein populäres Lied des Gastlandes in der Landessprache ein, das den Müttern dieser Welt gewidmet ist. Die blonde Sängerin begeistert damit Jury und Zuschauer und erhält den 2. Preis. Insgesamt begeistert sie in 15 Konzerten die mongolischen Zuhörer, sowohl in der Landeshauptstadt als auch in Dacham und Eldemet.

Rund 30 000 Seemeilen und je 1 Million Kilometer mit Flugzeug und Auto hat Vera bisher zurückgelegt. Die Sängerin mit drei Oktaven Stimmumfang und der unüberhörbaren Vorliebe für konzertante Schlager- und Unterhaltungsmusik will nicht auf der Stelle treten und sagt. "Ich habe noch viel vor, ich sprühe vor Energie und möchte meinen Zuhörern und Fans das weitergeben, was ich selbst erfahren habe; Liebe und menschliche Zuneigung".

Dass bei soviel beruflicher Beanspruchung Vera Schneidenbach trotzdem Zeit blieb, den Mann ihrer Träume zu finden, grenzt fast an ein Wunder. Immerhin dauerte es bis 1979, bis es an einer Berliner Tankstelle funkte: Ein seriöser Herr mit Bart bot ihr an, den Luftdruck an ihrem Auto zu überprüfen. Eine Einladung zum Kaffee am nächsten Tag war das Dankeschön und ein Vierteljahr später gab die blonde Sängerin dem Verkehrsplaner Dr. Axel Rackow das Ja-Wort.

Warum die staatliche Plattenfirma Amiga erst 1987 die erste Langspielplatte von Vera Schneidenbach veröffentlicht, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Das Album enthält Funkaufnahmen aus den Jahren 1975 bis 1984, die einen (fast) repräsentativen Querschnitt durch das Repertoire der Sängerin bieten: Von internationalen Musical-Melodien über Evergreens und Folklore bis hin zum Schlager. Konzertante Arrangements zeichnen alle Produktionen aus, bei denen Vera Schneidenbach immer von großen Orchestern begleitet wird. Cole Porters Ganz Paris träumt von der Liebe, Ernesto Lecuonas The Breeze And I oder auch der Theo-Mackeben-Evergreen Bei Dir war es immer so schön, Vera singt die Lieder so überzeugend, als seien sie speziell für sie geschrieben.

Auch der Christian-Bruhn-Erfolg Meine Welt ist die Musik, Henry Mancinis Welthit Moon River oder die Franz-Grothe-Komposition Sing mit mir klingen in der Interpretation der Sängerin überzeugend. Für die Aufnahmen der Evergreens Träume kann man nicht verbieten und Resignation hat sich Vera Schneidenbach einen in den 60er und 70er Jahren in der damaligen DDR sehr bekannten Duettpartner gesucht: Am 13. Juli 1978 steht Ingo Graf gemeinsam mit ihr im Studio.

Ingo Graf, ein ehemaliger Mathematik-Lehrer, gewann zweimal Gold beim Finale ‘Junge Talente’ im Jahr 1963, nahm fünfmal an der Sendeung "Herzklopfen kostenlos" teil, ehe er ins Schlagerprofilager wechselte. Mit dem Lied Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen hatte er seinen ersten Erfolg. 1966 nahm er dann am ersten Liederfestival in Moskau teil, und ein Jahr später siegte er mit dem Lied Piroschka in Budapest.

Aber auch Lieder von DDR-Komponisten wie Das ist meine Welt oder Mann nach Mass aus dem DDR-Musical ‘Letzter Ausweg Heirat’, die Gerd-Natschinski-Komposition Lächeln und schön sein aus dem DEFA-Film ‘Der Mann, der nach der Oma kam’ gehören zu ihrem Repertoire. Trag die Sonne in jedes Haus und Eine richtige Seemannsfrau, von Jürgen Degenhardt getextet und im DEFA-Film ‘Hiev up’ 1984 zu sehen und zu hören, sind Titel, denen man den Spass anhört, den Vera Schneidenbach bei der Aufnahme hatte. Aus der Feder von DDR-Spitzentexter Dieter Schneider stammt das Lied Er war Student, das zuerst in der UdSSR veröffentlicht wurde. Aus Dieter Scheiders Feder stammt auch der Text zu dem persönlichen Lieblingslied der Sängerin: Zugvögel. "Dass ich zum Meer eine ganz besondere Beziehung habe, liegt daran, dass ich am Meer geboren bin", lacht Vera Schneidenbach. Das Meer ist wie Unendlichkeit, Schön wie ein Traum oder Der Wind vom Meer, ein Quentchen Romantik ist meistens in ihren Liedern. Das aus Kuba stammende Quiereme mucho und ein internationales Medley, in dem Vera malaiisch, spanisch, russisch, italienisch, französisch und englisch singt, sind eine kleine Kostprobe aus ihrem grossen Repertoire...

HORST-DIETER CZEMBOR

Schwerte, im Dezember 1997